Hexennacht
Hinsicht –, eine
schwarze Messe in einem verrufenen Haus zelebrierte.
Es ist die verfallene Kate einer im siebzehnten
Jahrhundert hingerichteten Hexe. Ihr Prozess ist nach den im Trierer
Stadtarchiv erhaltenen Akten sehr spektakulär gewesen,
weil er von den gewöhnlichen Paradigmen der Hexenverfolgung
stark abwich. Ludwiga Bohnum verriet auf der Folter keine andere
Hexe, und der Richter stellte erstaunt und enttäuscht fest, dass
sie offensichtlich eine Einzeltäterin war und nie an den
Sabbatorgien auf der Hahnerfläche nahe Manderscheid teilgenommen
hatte. Sie leugnete hingegen nicht, den Teufel beschworen und mit ihm
Unzucht getrieben zu haben. Sie habe ein Tor zur Hölle
errichtet, durch das sie nach Belieben geschritten sei.
Arved schaute erstaunt zu Lioba Heiligmann auf. »Ein
Tor«, murmelte er.
»Als ich das gelesen habe, ist mir Ihre Geschichte in einem
anderen Licht erschienen«, gab Lioba zu und schenkte ihm ein
Lächeln, in dem ganz deutlich die Bitte um Verzeihung lag. Er
las weiter.
Als man Ludwiga Bohnum in ihrer Hütte gefangen nehmen
wollte, bedurfte es insgesamt sieben Bütteln mit starker
Bewaffnung: mit Speeren, Dolchen und Messern. Den ersten beiden
schüttete sie eine Flüssigkeit ins Gesicht, worauf sie ihr
Augenlicht verloren. Die nächsten ängstigten sich
buchstäblich zu Tode, als sie das Innere der Hütte sahen.
Leider gibt es keine Beschreibung davon; die betreffenden Seiten sind
im Protokoll herausgerissen. Erst als die verbliebenen Büttel
die Hütte von außen in Brand setzten und Ludwiga Bohnum
ins Freie lief, konnte sie überwältigt werden. Das Feuer
wurde sofort gelöscht, um wichtiges Beweismaterial zu sichern.
In den Akten befinden sich Beschreibungen von Kinderleichen, die zu
Zaubereien benutzt worden waren, sowie von magischen
Gerätschaften und Zauberbüchern.
Arved riss die Augen auf. Der Name der Hexe hatte ihn sofort an
etwas erinnert, aber er hatte es nicht fassen können. Jetzt
wusste er es. Eine Abkürzung dieses Namens war ihm schon einmal
begegnet: Ludw. Boh.n. Sie stand in seinem Exemplar des Grimorium
Nigrum!
»Sie haben mir Ludwiga Bohnums Zauberbuch verkauft!« Er
starrte Frau Heiligmann an. »Es sind sogar ihre Anmerkungen
drin!«
Sie zuckte die Achseln. »Es scheint so. Da sieht man wieder,
dass man als Antiquarin immer auf dem neuesten Stand sein sollte. Vor
der Lektüre von Lang-Weges Buch hatte ich keine Ahnung davon.
Wenn ich um diese Provenienz gewusst hätte, wären Sie nicht
so billig an Ihr Büchlein gekommen.«
Arved musste unwillkürlich grinsen. Frau Heiligmann schien
sich tatsächlich zu ärgern. Sie zündete sich einen
neuen Zigarillo an. »Offenbar hat man die beschlagnahmten
Bücher nicht verbrannt, wie es sonst üblich war, sondern
irgendwann verkauft – bestimmt für horrende Summen, denn
die Zauberbücher eines Magiers galten schon immer als besonders
wirkungsmächtig.«
»Na, bei mir hat es aber versagt«, meinte Arved und las
weiter. Lang-Wege beschrieb im nächsten Abschnitt die
Satanistengruppe, die sich regelmäßig bei dieser
Hütte zur Walpurgisnacht traf und eine
Dämonenbeschwörung durchführte. Lang-Wege war nicht in
den Zirkel eingedrungen, hatte das Ritual aber in gebührender
Entfernung belauscht und Tonbandaufzeichnungen sowie Notizen gemacht.
Von einem etwaigen Erfolg der Beschwörung schrieb er nichts; aus
dem Tenor seines Werkes sprach deutlich, dass er an solche Dinge
sowieso nicht glaubte. Arved schlug das Buch zu und schaute in eine
imaginäre Ferne. Er dachte an Magdalena und Jürgen Meisen
und daran, wie sie in der letzten Walpurgisnacht, der Hexennacht, zu
dieser Hütte gekommen waren. Sicherlich hatten die Satanisten
ihr Nahen bemerkt und rasch die Falltür geschlossen. Nur das
Pentagramm auf dem Steinfußboden hätte sie noch verraten
können.
Und der Rebstock, dessen Wurzeln offenbar unten im Keller gelegen
hatten, vielleicht sogar ihren Ursprung in dem unheiligen Altar
hatten. Die Trauben hatten eine zu große Versuchung für
Jürgen Meisen dargestellt und waren ihm und seiner Frau zum
Verhängnis geworden. Nun ergab sich ein stimmiges Bild –
wenn man die Prämisse einer gelungenen Öffnung des
Höllentores als gegeben hinnahm. Eine in sich irrsinnige
Prämisse.
Lioba Heiligmanns Stimme drang wie aus weiter Ferne an seine
Ohren: »Lang-Weges Buch ist erst wenige Tage nach der
Walpurgisnacht dieses Jahres erschienen, sodass sich die Gruppe
weiterhin unentdeckt wähnte. Nun aber wird sie auf der Hut
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