Hexensabbat
einkalkuliert.
»Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen …« Anna hatte keine Referendarstelle und keine zweitausend Mark. Sie zerknüllte die Liste. Fünfhundert Mark, dachte sie, das ist weniger als Bafög …
Kleinkrieg ganz groß
Anna hatte sich vorgestellt, sie brauchte nur in ein Reisebüro hineinzuspazieren: Hier bin ich, mit Abitur und Hochschulabschluß und hervorragenden Englischkenntnissen. Etwas Übertreibung gehörte dazu, und bei englischsprachigen Filmen im Original verstand sie noch immer das meiste, im Französischen fehlte ihr lediglich die Übung; immerhin hatte sie auf dem Gymnasium als sprachbegabt gegolten. Sie konnte sogar auf Berufserfahrung verweisen, denn als Studentin hatte sie drei Jahre lang für den »Jugendfahrtendienst« gearbeitet. Und wer bekam schon eine Reiseleiterin mit abgeschlossenem Jurastudium für dasselbe Geld? Natürlich würde sie keinen Pfennig mehr verlangen, es wäre ja nur ein Job für den Übergang.
Sie hatte sich ein Reisebüro mit einem breitgefächerten Angebot herausgesucht, das Kulturprogramm wurde großgeschrieben, sie würde Geld verdienen und gleichzeitig auf andere Gedanken kommen. Sie würde Postkarten von den Seychellen oder aus Ägypten schicken, Mexiko wäre auch nicht übel, beim Blättern in dem Prospekt war sie regelrecht in Stimmung gekommen. Till bekäme den Mund nicht mehr zu. Sie wußte auch schon, was sie zum Vorstellen anziehen würde. Die Edeljeans von »Aigner«, damit lag sie überall richtig, und der Sitz war perfekt. Es war egal, daß Till ihr die geschenkt hatte, und dazu könnte sie die neue gelbe Ziegeniederweste tragen, schick und edel …
Sie hatte die Jeans und die Weste angezogen. Sie hatte das neue Transparent-Make-up aufgetragen und »Egypt Wonder« mit dem Pinsel über Schläfen und Kinn und Wangenknochen gestäubt. Zweimal hatte sie kehrtgemacht, weil es angefangen hatte zu regnen, auf dem Fahrrad wäre sie naß geworden wie eine Katze. Und sie hatte nicht mal mehr Geld für die Bahn oder ein Taxi. Sie war total pleite.
Sie hatte es endlich geschafft, trocken und ohne Dreckspritzer und mit gutsitzenden Haaren die Tür zu öffnen.
»Nein, nein, ich möchte keine Reise buchen.«
»Sondern?« fragte die Blonde. Augenbrauenbögen wie gemalt, dachte Anna und fuhr sich mit der Hand an ihre eigenen Brauen, die sie täglich zupfte und die dennoch immer wieder struppig aus der Reihe sprangen, neuerdings pappte sie die widerborstigen Härchen mit Niveacreme fest, garantiert würde das dieser Blonden nie passieren, sie könnte genausogut in einem Parfümerieladen arbeiten, sie war der Typ.
»Ich würde das gerne mit dem Geschäftsführer bereden.«
»Und worum geht es?« Die Augenbrauenbögen rutschten noch höher, sozusagen auf Alarm, eine Beschwerde?
»Es geht um eine Bewerbung. Ich möchte mich als Reiseleiterin bewerben«, sagte Anna.
»Sie selbst?«
Wer sonst, dachte Anna. Sehr helle ist die nicht. »Ja, es geht um mich«, antwortete sie.
»Einen Moment, bitte.« Die Blonde stand auf. Es dauerte mehr als einen Moment, bis der Geschäftsführer kam, dann ging alles sehr schnell.
»Schicken Sie uns doch bitte Ihre Unterlagen, das Übliche.« Der Mann wandte sich der Blonden zu und sagte etwas, es ging um ein Storno.
»Ich habe alles dabei«, erwiderte Anna und reichte ihm die Aktenhülle, er legte sie auf einen Stapel Prospekte.
»Und wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?« Er sah kurz hoch.
»Fünfunddreißig«, antwortete Anna.
»Tja«, er sah zu der Blonden hin, die nickte, sie war höchstens Mitte zwanzig, er selbst mochte an die fünfzig sein, »wir beschäftigen eigentlich vorzugsweise jüngere Damen. Studentinnen. Aber Sie können mir das gerne dalassen.« Er tippte auf den Stapel neben sich.
»Danke«, sagte Anna. Sie stellte sich noch in fünf anderen Reisebüros vor. Nichts. Als wäre sie mit ihren fünfunddreißig Jahren ein Grufti, zittrig und tattrig. »Junger Mann« nannten sich Männer ihres Jahrgangs, aber einstellen wollten sie junges Gemüse, jung und nicht sehr helle, das hob.
»Was tun Sie denn hier?«
»Verkaufen«, antwortete Anna. Was wohl sonst? Sie stand in ihrem weißen Kittel hinter der Theke und hielt wartend die Papiertüte in der Hand. Morgens früh war gut zu tun, die Kunden standen oft in zwei Reihen, deshalb hatte man ein Schild ins Schaufenster gestellt, »Aushilfe gesucht«, und Anna hatte sich beworben und war prompt eingestellt worden. Der Bäcker war ein praktisch
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