Hexensabbat
Anna kam sich blöd vor, als sie es aussprach, aber nun war es zu spät. Sie war fünfunddreißig und fragte ihre große Schwester, was sie mit ihrer Zeit anstellen sollte.
»Gehst du nicht zur Uni?« Eine kurze Pause, dann fiel es Marie wieder ein: »Stimmt ja, du bist fertig. Komisch, wie?«
»Ja, komisch«, bestätigte Anna.
»Offen gestanden, ich hab auch nie sehr weit über meinen Topfrand hinausgeschaut, und der heißt Kunst.«
»Vielleicht was mit Kunst? Für Anfänger und tagsüber.«
Marie lachte, aber nett. »Warte mal, heute ist so ein Atelierrundgang zum Thema Frauenkunst, wäre das etwas?«
»Jo.«
»Bist du auf dem Kölsch-Trip?«
»Nö.« Jetzt lachten sie beide, ihre Mutter hatte immer streng darauf geachtet, daß sie kein Kölsch sprachen, heute waren sie beide rückfällig geworden.
»Also, ich gebe dir dann mal die Adresse. Okay?«
»Okay.« Anna notierte sich den Namen und die Adresse. Sie mußte sich beeilen, in knapp einer Stunde begann die Führung, und sie mußte sich noch anziehen. Sie überlegte und entschied sich für Jeans und Blazer, damit lag sie immer richtig. Als sie vor dem Spiegel einen Kajalstrich um die Augen zog und die Lippen braunrot anmalte, dachte sie kurz an sein »schöne Kölnerin«, es hatte ihr gutgetan. Sie erwischte sich dabei, wie sie ihr Spiegelbild anlächelte, den Hals leicht gereckt, was vorteilhaft fürs Profil war. Rasch zog sie eine Grimasse, so schön bist du auch nicht. Trotzdem ging sie ziemlich beschwingt aus dem Haus und stieg auf ihr Hollandrad. Eigentlich war sie blöde gewesen, Tills Angebot auszuschlagen, ein schickes City-Bike wäre wirklich nicht übel gewesen. Sie hatte aus purem Trotz »nein, danke« gesagt. Er hatte eine selten hochnäsige Art, ihr klarzumachen, was für sie gut wäre, wieviel Gänge und welche Schaltung und welcher Sattel, doch das war nun sowieso vorbei. Sie radelte los.
Auf dem Klingelschild nahm sich der Name der Malerin noch pompöser aus. Tremezza von Brentano. Automatisch fuhr Anna sich mit beiden Händen in die Haare, um sie aufzulockern, am liebsten hätte sie noch kurz in ihren Taschenspiegel geguckt, doch das ging nicht, denn hinter ihr kamen schon die nächsten Besucher, zwei Frauen, die sich angeregt unterhielten. Anna ließ sie vorgehen.
Es roch nach Lack und nach Lösungsmitteln, wahrscheinlich war das normal in einem Atelier. Überall standen Farbtöpfe mit Pinseln herum, es waren Hunderte von Pinseln, Anna hatte den Verdacht, daß die absichtlich so malerisch dekoriert waren, damit das Künstlerische besonders rauskam. Dann sah sie die Bilder, sie zeigten Frauen, die sich räkelten und schmiegten und verführten, mit langen Beinen und großen Brüsten, nur Idealmaße, keine brach aus dem Schönheitsideal aus, auch die spärlich drapierten Dessous waren nur schön. Lauter Playgirls, dachte Anna, und fast alle blond, als ob die Brünetten nicht genauso reizvoll sein konnten. Anna begriff erst bei dem Kauderwelsch der Kunsthistorikerin, die den Rundgang leitete, daß die dargestellte Schönheit abschrecken sollte, weil sie Frauen zu Lustobjekten verkommen ließ, ewig lächelnd und immer verfügbar. Das Wort »Lustobjekt« fiel immer wieder. Anna sah sich verstohlen um. Es waren nur Frauen gekommen, eine Kollektion in Schwarz und Hennarot. Sie ähnelten einander genauso wie die Schönen auf der Leinwand, aber ins Gegenteil verkehrt: Niemand käme auf die Idee, sich an diesen Einheitshaarschnitten und Einheitssackschnitten und Einheitsgesichtsschnitten zu delektieren. Für Anna sahen sie noch viel unlebendiger aus als die Verführungsposen an den Wänden ringsum. Da bin ich lieber Lustobjekt, dachte Anna. Beim Hinausgehen fühlte sie sich seltsam gemustert, so als ob der Verrat an ihren Geschlechtsgenossinnen ihr auf der Stirn geschrieben stünde. Bestimmt hatte sie einfach zu wenig Ahnung von Kunst und von der Frauenbewegung sowieso. Sie stieg auf ihr Rad, das paßte immerhin hierher. Sie beschloß, zum Friseur zu gehen.
»Strähnchen«, sagte sie, als sie sich in den bequemen Sessel fallen ließ. »Heute ist mir nach Strähnchen.«
Ihr Friseur zeigte ihr die Farbpalette. »Wie wäre es mit diesem warmen Haselnußton, mit einem leichten Stich ins Rötliche.«
»Nur kein Rot.« Anna dachte an die Einheitsköpfe mit dem Hennarot, lieber ließ sie sich wasserstoffblond färben.
Als sie vor der Haustür stand und nach ihrem Schlüssel kramte – alles mögliche kam ihr zuerst in die Finger, der Kamm und
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