Hexenseelen - Roman
bei mir unverkennbar wurden, bin ich nach London zurückgekommen, um meinen Vater zu töten. Aber er war fort. Während meiner erfolglosen Suche bin ich gestorben.« Conrad verstummte und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Eine Weile verlor er keinen Ton. Bis er schließlich sagte: »Ich habe ihn umgebracht, sobald ich im Grab aufgewacht bin. Woche um Woche habe ich ihn ausgezehrt, bis er nur noch ein Schatten
seiner selbst war und jämmerlich verendete. Es hat mir Spaß gemacht.«
Ylva biss die Zähne zusammen. »Geschah ihm recht.« Niemals hätte sie geglaubt, so etwas jemals auszusprechen, wo sie doch die Gier der Nachzehrer als etwas absolut Furchtbares ansah und um all die Menschen trauerte, die für Conrad in dieser Villa ihr Leben gelassen hatten.
»Und nach ihm - meine Mutter, weil ich nicht aufhören konnte, weil das meine Natur war, mein Fluch.« Er schnaubte. »Findest du das immer noch gerecht?«
Auch das konnte sie nicht mehr von ihm abschrecken, obschon sie daran schlucken musste.
»Jedes Mal, wenn ich später mein Spiegelbild betrachtete, sah ich meinen Vater«, fuhr er fort. »Ich bin ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Und jedes Mal habe ich mich gefragt, wie viel von ihm noch in mir stecken mochte.
Du wolltest wissen, warum ich keine Nähe ertragen konnte, keine Berührungen? Weil ich dann unweigerlich an ihn dachte, an das, was er getan hatte, und irgendwann kam es mir vor, als lebe er in mir weiter und ich wäre es gewesen, der …« Angeekelt brach er ab.
Einige Zeit lag Ylva stumm neben ihm, suchte nach passenden Worten, die nicht kommen wollten, nach Trost, bis sie begriff, dass er nichts davon brauchte. Manchmal war stille Zweisamkeit alles, was man benötigte, um zu sich zurückzufinden und die Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen.
Vielleicht … vielleicht sollte sie sich der eigenen ebenfalls stellen und sich ein für alle Mal Klarheit verschaffen. Fast unwillkürlich fuhr sie sich mit der Hand über die Narbe an ihrem Bauch.
Wollte sie tatsächlich den Grund wissen, warum ein Vater seine Tochter zu erstechen versuchte?
Nein.
Aber sie musste es.
»Du hast noch nichts gefrühstückt«, sagte Conrad nach einer Weile.
Mit Erleichterung erkannte Ylva seine gewohnte Art zu reden, die ruhige Stimme und die gedehnten Töne.
»Ja. Stimmt.« Ylva umarmte ihn, und er erwiderte ihre Umarmung. Bis sie aus dem Bett aufstand und sich endlich anzog. »Du willst sicherlich noch mit Adrián üben. Wir seh… ich meine … bis nachher?«
»Ja.« Er lächelte ihr zu. »Bis nachher.«
Sie ging, aber nicht, um zu essen.
Kapitel 26
S chon aufgrund des Geruchs an Micaelas Tür ahnte Ylva, dass etwas nicht stimmte. So trat sie ein, ohne anzuklopfen. Die Jägerin schaukelte auf einem Stuhl, die Füße in schmutzigen Stiefeln, die sie höchstwahrscheinlich seit Betreten der Villa nicht mehr ausgezogen hatte, gegen eine Anrichte gestemmt. Das musste sie öfter gemacht haben, denn an der Stelle zeigte das polierte dunkelrote Holz deutliche Spuren. Der Raum roch nach Katzenpisse und Menschenschweiß und anderem, was Ylva lieber nicht näher identifizieren wollte. Auf dem Boden stand eine Weinflasche. ZouZou lag auf der Anrichte und zuckte mit der Schwanzspitze. Das Fell des Stubentigers wirkte matt, die Augen tränten.
»Du trinkst?«, fragte Ylva bestürzt. Der Alkohol und das einstige Bild der kräftigen Jägerin wollten in ihrer Vorstellung einfach nicht zusammenpassen.
Die Frau legte den Kopf in den Nacken und blickte ihre ungebetene Besucherin an. Dabei schien sie es nur einer glücklichen Fügung zu verdanken, dass der Stuhl, der auf den zwei hinteren Beinen balancierte, nicht umkippte.
»Wonach sieht es denn sonst aus?« Micaela schnalzte
mit der Zunge. »Wie es dir geht, brauche ich wohl nicht zu fragen. In der letzten Zeit strahlst du wie ein Kernkraftwerk.« Etwas Abfälliges schwang in ihrem Ton mit. Ihre Abneigung gegen Totenküsser? Ihre Verbitterung über ihr eigenes Dasein?
Ylva trat näher. Die Katze öffnete die Augen und fauchte, die Schwanzspitze begann, einen Tick schneller hin und her zu zucken. »Dir dagegen scheint es alles andere als gutzugehen.«
Micaela angelte sich die Flasche vom Fußboden und trank einen Schluck. »Was kümmert es dich? Du bist nicht meine Königin.«
»Nein, bin ich nicht. Aber deine Nichte, die sich Sorgen macht.«
»Ach, auf einmal doch?« Ein kehliges Lachen erklang, bis die Jägerin hustete und etwas Wein auf ihrem Pullover
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