Hexenseelen - Roman
seinem Kleinen die Hände schützend auf die Schulter legen, sie an sich ziehen und sie bitten, bei ihm zu bleiben. Aber das war offenbar pures Wunschdenken.
»Sie haben mich also erkannt«, konstatierte Ylva, weil er sich erneut in Schweigen hüllte.
Erst jetzt drehte er den Kopf und schaute zu ihr. Lange
verweilte sein Blick auf ihr, bis er die Lider senkte. »Ich müsste blind sein, um dich nicht zu erkennen. So wie du aussiehst. Was du bist, lässt sich nicht leugnen.«
Ylva fuhr sich durch das perlblonde Haar und erinnerte sich, wie Alba diese Farbe einst bestaunt hatte. »Was ich bin? Was bin ich denn?«
Er musste sich anscheinend überwinden, um zu reden, aber dann gingen seine Worte wie ein Unwetter auf sie nieder: »Wir sollten das schnell hinter uns bringen, Jacqueline, das würde uns beiden guttun. Also. Ich wurde als Anwärter erzogen. Meine Eltern sprachen immer von der Stärke und der Vollkommenheit, die mich ereilen sollten, sobald ich mich mit meinem Seelentier verband. Ich fieberte diesem Moment entgegen. Jahrelang. Doch er kam nicht.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen und bewegte die Schultern, als friere er. »Ich bin ein Anwärter geblieben und wurde von der Gemeinde verstoßen. Sogar meine Eltern wandten sich von mir ab. Ich war verzweifelt. Ich habe alles versucht, um von der Königin doch noch akzeptiert zu werden, aber vergebens. Sie hat mich verbannt, und nicht nur das. Meine eigene Schwester musste mich auf ihren Befehl davonjagen.«
Ylva dachte an Micaela. Jetzt begann sie zu begreifen und mitzufühlen, jetzt hätte sie gern ihrer Tante den Wein weggenommen, mit ihr geredet und sie getröstet. Irgendwie waren sie alle verkorkste Kinder - das Rattenmädchen ohne den Vater, die Katzenfrau ohne den freien Willen, ein Anwärter ohne sein Seelentier.
»Da habe ich sie kennengelernt, die Frau, die mir Stärke gab, die in mir einen unbezwingbaren Jäger sah«, fuhr der Mann fort, genauso ausdruckslos wie zuvor. »Zusammen mit ihr durfte ich der sein, der ich schon immer sein wollte. Wir haben uns geliebt, bis sie plötzlich spurlos verschwand.«
»Meine Mutter? Wie … Wer …« Ylva wusste nicht, welche der vielen Fragen sie zuerst stellen sollte, aber Thomas Buchholz achtete nicht auf sie, sondern erzählte stumpf weiter: »Als ich die Hoffnung aufgegeben hatte, sie jemals wiederzusehen, tauchte sie auf. Mit einem Baby in den Armen - mit dir. Noch einen ganzen Monat lang lebten wir zusammen wie eine kleine glückliche Familie, dann verließ sie mich zum zweiten Mal. Nur du bliebst mir. Die Jahre vergingen. Ich fand mich mit der Rolle des alleinerziehenden Vaters ab, ich genoss es sogar, für dich da zu sein, dich liebzuhaben und dir beim Wachsen zuzusehen. Doch dann kam sie wieder und forderte dich zurück. Erst da begriff ich ihr Spiel. Ihr hässliches Spiel.«
»Wer ist sie?«, rief Ylva aus und bemerkte erst jetzt, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Wer ist meine Mutter? Warum …« Die Luft war aus ihrer Lunge gewichen, und sie rang um Atem, als der Mann antwortete: »Eine Hexe.«
Ylva taumelte und lehnte sich gegen den Holzstapel. Mir fahriger Hand fuhr sie darüber, als suche sie nach Halt. Eine Hexe? Das bedeutete, sie war … ein Hexenkind!
… ein Hexenkind …
… ein Hexenkind …
Es pochte in ihren Schläfen, rauschte durch ihr Blut und weckte den Dämon auf. Das Dunkle. Das Fremde.
»Eine Hexe«, wiederholte Thomas. In seine monotone Erzählung mischte sich Verbitterung. »Oya. Sie hat mich manipuliert und mich dazu verleitet, mit ihr ein Kind zu zeugen. Sie ließ es bei mir aufwachsen, damit andere Mächtige keinen Wind davon bekamen, und forderte es zurück, als sie es brauchte. Ich weigerte mich, dich herauszugeben. Wie töricht! Ich glaubte tatsächlich, vor einer Mächtigen weglaufen zu können. Von da an befanden wir uns auf der Flucht. Doch sie war uns stets auf den Fersen. In meiner Verzweiflung suchte ich Hilfe bei Micaela. Ich hoffte, sie würde ein gutes Wort für uns einlegen. Schließlich warst du theoretisch eine Anwärterin und als Kind einer Mächtigen wertvoll. Doch Micaela hat mich fortgeschickt. Zu meiner und deiner Sicherheit, wie ich erst später begriff. Im Hintergrund half sie mir, verwischte meine Spuren und legte falsche Fährten. Doch schließlich gelang es Oyas Handlangern, uns zu stellen.«
Ylva klammerte sich an die Holzscheite. Die Realität schwand dahin. Es war …
Es ist Nacht.
Die Feinde hatten sie eingeholt, sie
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