Hexenseelen - Roman
Fähigkeiten? Solche, über die laut Evelyn ein Hexenkind verfügte? Sie lauschte in sich hinein, doch das Dunkle in ihr blieb still. Es kam ihr vor, als wolle ihr Mitbewohner das schwierige Thema aussitzen, als hielte er sich absichtlich bedeckt. Oder brütete er etwas aus? Sein Schweigen bereitete ihr Unbehagen.
Rede mit mir! , verlangte sie, suchte nach dem Dämon und zerrte an ihm. Das Dunkle wand sich und entglitt ihren Gedanken, sobald sie glaubte, es erfasst zu haben.
Zorn flammte in ihr auf. Du kannst dich nicht in mir verstecken! Wenn ich die Oberhand gewinne, bist du mir untertan. Noch nie fühlte sie sich so stark. untertan . Noch nie fühlte sie sich so stark.
Doch wenn sie sich eine Hand auf die Brust legte, registrierte sie ein sanftes Pochen in ihrem Inneren. War der Dämon bereits so mächtig geworden, dass sie seine Bewegungen physisch spürte? Nein, sie war die Herrin über ihren Körper, ihren Geist und das Bewusstsein des Dämons. Willst du es darauf ankommen lassen?
Das Pochen verebbte. Nein , gab der Dämon nach. Ich bin hier, um deine Fragen zu beantworten. Er klang beinahe … kriecherisch, als läge ihm alles daran, sie gnädig zu stimmen.
Was genau habe ich mit Conrad angestellt? Was für Fähigkeiten sind das, von denen du gesprochen hast?
Du kannst einem Gefühle entreißen und sie in das Schattenreich verbannen. Aber Vorsicht. Nimmst du zu viel, zerstörst du die Seele. Meine Herrin.
»Ylva, verdammt nochmal, was ist los?« Albas Ausruf ließ Ylva zusammenzucken.
Herrin. Die Unterwürfigkeit des Dämons hatte sie für einen Augenblick in Hochstimmung versetzt, doch nun hielt sie inne. Das konnte unmöglich sie sein, die so frohlockte, wenn sie über einen anderen herrschte. Es handelte sich nicht bloß um einen Klumpen Dunkelheit, der in ihr eingeschlossen war. Es ging hier um eine Schattenseele, die Seele eines Menschen. Was auch immer er verbrochen hatte, um zu einer solchen Existenz verdammt zu sein, sie hatte ihn zu respektieren.
»Ylva, verrätst du mir endlich, was passiert ist? Was hat dir dieser Mann gesagt, dass du so komisch bist?«
»Er hat gesagt …« Dass durch mich Finn in unsere Welt zurückkommen kann. Dass Evelyn …
Evelyn ist ebenfalls eine Mächtige , erinnerte sie der Dämon mit einem demütigen Unterton, der ihr ganz und gar nicht gefiel. Ist sie wirklich so viel besser als Oya?
Was für ein Spielchen trieb er mit ihr? Er klang so gar nicht wie der freche Dämon, der sie die letzten Tage begleitet hatte.
Doch in einem hatte er Recht. Evelyn war eine Mächtige, durfte Ylva ihr wirklich trauen? Wer konnte ihr versprechen, dass die Hexe sie nicht ebenfalls für ihre Ziele missbrauchen würde? Schließlich war dieses Wesen nicht weniger intrigant als Oya. Sie hatte Finn umgebracht, nur um Alba auf ihre Seite zu zwingen.
Nein, mit Evelyn Kontakt aufzunehmen war keine gute Idee. Aber wen konnte sie dann einweihen? Alba? Ylva schaute zu ihrer Freundin, die bereits aufgegeben hatte, nach Antworten zu verlangen, und betrübt auf die Straße
starrte. Sich von Evelyn loszusagen bedeutete, Finn seinem Schicksal im Schattenreich zu überlassen. Aus ihm einen Dämon zu machen. Alba würde das nicht akzeptieren. Wie auch, wenn sogar Ylva sich mit ihrem ganzen Wesen dagegen sträubte.
Blieb nur Conrad. Ihm könnte sie sich anvertrauen, er würde ganz bestimmt einen Ausweg finden.
Was glaubst du, wie er reagieren würde, wenn er erführe, dass du die Tochter seiner schlimmsten Feindin bist? , gab der Dämon zu bedenken, und Zweifel sickerten in ihre Seele. Zweifel, die sich fremd anfühlten und doch berechtigt schienen. Conrad …
… würde dich von sich stoßen.
Conrad …
… würde mich hassen.
Bald wusste sie nicht mehr, welche Gedanken ihr gehörten und welche dem fremden Bewusstsein entsprungen waren. Aber das machte keinen Unterschied. Conrad durfte nicht die Wahrheit erfahren. Was bedeutete: Sie blieb allein mit ihren Sorgen und ihren Zweifeln.
Alba rüttelte an Ylvas Schulter und rang sich sogar ein Lächeln ab, das zwar noch etwas gekränkt wirkte, doch nicht ohne Wärme schien. »Wir sind da, Träumerle.«
Hastig wandte Ylva den Blick ab. Sie wusste nicht, wohin sie sehen, wie sie sich benehmen sollte. Es kam ihr vor, als würde ihre Freundin an der kleinsten Geste erkennen, was sie zu verbergen versuchte.
»Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?«
Ylva nickte. Schnell. Mehrfach. Überzeugend genug?
Vermutlich, denn Alba ließ das Fenster
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