Hexenseelen - Roman
hier nicht. Stimmte nicht mit ihr. Was sie empfunden hatte, konnte unmöglich von ihr kommen!
Du warst wütend und enttäuscht. Das passiert manchmal. Alles ist in Ordnung.
Nein, nichts war in Ordnung.
Jetzt kannst du dich endlich um deine Probleme kümmern. Das ist besser so, glaub mir.
Ihre Probleme betrafen nicht nur sie selbst. Sie war eine Gefahr für die Welt und vor allem für diejenigen, die sie liebte. Oya würde nicht aufhören, sie zu verfolgen.
Ylva umklammerte ihre Schultern und trat zum Rand des Piers. Dieser Krieg tobte ihretwegen. Ohne ein Hexenkind wäre Oya machtlos. Von jetzt auf gleich wären die Pläne der Mächtigen zerstört.
Beinahe wütend brachen die Wellen am Ufer. Das Rauschen schmerzte plötzlich in ihren empfindlichen Ohren. Es musste aufhören. Der Krieg. Das Rauschen. Wenn sie nur einen weiteren Schritt tun würde, wäre alles vorbei.
Der Dämon brodelte in ihr auf. Dumpf stierte sie ins Wasser. Ja, das war eine richtige Entscheidung. Sie verbot sich, an Conrad zu denken, an Alba, an die Metamorphe, denen sie sich verpflichtet fühlte. Sie durfte keine Zweifel, keine Sorgen, keinen Kummer mehr zulassen. Sie
musste endlich einmal stark sein und nicht nur stets davonlaufen.
Nein! Der Dämon bäumte sich auf. Er rüttelte an ihrem Verstand, jagte Qualen durch ihren Körper.
Ein Grund mehr, alles zu beenden.
Nein! Das Blut rauschte ihr in den Ohren wie das Getöse der Wellen. Ihr Herz pochte, immer schneller.
Es war schwer, den entscheidenden Schritt zu tun. Vielleicht, weil der Dämon teilweise ihren Körper übernommen hatte und sie zurück auf den Pier drängte. Vielleicht, weil sie im letzten Augenblick doch noch Bedenken zuließ und leben, ja, kämpfen wollte. So beugte sie sich nur zögerlich vor, um sich in den Fluss fallen zu lassen.
Was danach passierte, ging unglaublich schnell. Jemand riss sie zurück, und sie sah nicht die Wellen, sondern den Pier auf sich zukommen. Starke Arme hatten sich um sie gelegt, hielten sie fest.
Ylva sah auf. Aber es war nicht Conrad. Sondern ihr bester untoter Freund. Roland. Ungläubig starrte sie in das fahle Pummelgesicht und gab sich der Geborgenheit hin, die sie in der Umarmung fand. Der Nachzehrer wiegte sie wie ein kleines Kind und strich ihr über das Haar. Ihm konnte sie doch schon immer alles erzählen, warum nicht auch die Sache mit dem Hexenkind? Zusammen würden sie eine Lösung finden. Ylva kuschelte sich an ihn, ungeachtet der Gänsehaut, die der Hauch des Todes bei ihr hervorrief.
»Wie hast du mich gefunden?«, flüsterte sie, plötzlich unendlich erschöpft.
»Du warst so durcheinander«, erwiderte Roland sanft, während er mit seinem Blick die grauen Bauten am anderen Ufer fixierte. »Ich dachte, es wäre eine gute Idee, dir zu folgen. Wie ich gesehen habe, zu Recht.«
»Danke.«
»Versprichst du mir, keine Dummheiten mehr zu machen?«
»Ja.« Ylva schaute in das runde, früher so freundliche Gesicht, das jetzt ungewöhnlich ernst, beinahe hart wirkte. Irgendetwas stimmt hier nicht , erhob sich erneut der Gedanke, doch Ylva verdrängte ihn. Sie durfte ihrem Dämon nicht trauen, sie durfte sich selbst nicht mehr trauen, dafür aber ihrem Freund umso mehr. Er passte auf sie auf. Bei ihm war sie sicher.
»Alles wird gut«, versprach er leicht geistesabwesend, während sein Blick hin und her wanderte und immer wieder zu den Häuschen hinter ihnen im Treppenviertel zurückkehrte. »Hörst du? Alles wird gut.«
»Ich bin das Hexenkind«, sagte sie.
Er antwortete nicht.
Ylvas Blick versank im eisigen, hellen Grau seiner Augen. »Verstehst du? Ich bin das Hexenkind.«
Etwas geschah hier, nur … fühlte sie sich zu entkräftet, um das zu begreifen. Der Dämon wand sich in ihr, breitete sich aus und durchströmte jede Zelle ihres Körpers. Irgendetwas flüsterte er ihr zu, doch nicht einmal das vermochte ihr Verstand noch zu erfassen.
»Roland?«, wisperte Ylva, plötzlich von seinem Blick völlig gefangen. Sie war sehr müde. Sogar das Sprechen
artete in große Anstrengung aus, sie sollte es vielleicht lassen.
»Du musst dich ausruhen«, drang es durch die Watte, in die ihr Kopf gepackt zu sein schien.
Ylva wollte protestieren, nach Erklärungen verlangen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Der Dämon wurde immer stärker, verdrängte ihr Bewusstsein. Stück für Stück gab sie ihm nach. Es kam ihr vor, als würde sie einschlafen und doch alles ringsherum mitbekommen.
Ylva sammelte ihre Kräfte,
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