Hexenseelen - Roman
vermochte sich jedoch nicht von den grauen - nein, inzwischen eisfarbenen - Augen zu lösen. Was geht hier vor?, rief sie ihrem Freund stumm zu. Der Hauch des Todes wurde so viel stärker, beinahe unerträglich. Er konnte unmöglich nur von einer Person ausgehen.
Sein Mondgesicht verschwamm vor ihren Augen, schwebte irgendwo über ihr, einer blassen Scheibe gleich.
Es tut mir leid …
Hatte er das gesagt? Oder der Dämon?
Ylva versank in der Schwärze.
Kapitel 28
A n diesem besonderen Tag, dem so viele entgegenfieberten, erhoffte Stella sich etwas Außergewöhnliches. Sie verließ ihre Wohnung mit einer gewissen Erwartungshaltung, und als sie auf den Straßen den ersten Schnee entdeckte, deutete sie es als ein Zeichen. Selbstverständlich war sie nicht so naiv zu glauben, das gehöre zum Plan und der Messias hätte damit die Erneuerung der Welt eingeleitet. Aber einen gewissen Schicksalswink sah sie darin dennoch.
Stella überprüfte ihre Waffen, die sie versteckt unter der Jacke trug, und zog an dem Kettengürtel, der ihre Taille schmückte. Erst danach ging sie den Bürgersteig entlang zu der Stelle, an der sie ihren Van geparkt hatte. Als sie an einem Kinderspielplatz vorbeilief, hörte sie ein Quietschen und sah, wie sich eine Gestalt von der Schaukel löste. Automatisch stellte sich ihr Körper auf einen Kampf ein. In den letzten Tagen befürchtete sie hinter jeder Ecke einen Hinterhalt. Die Abgesandten, die sie vor den Messias zerren und für ihr Tun zur Verantwortung ziehen würden. Die Anspannung wich auch dann nicht, als sie den Ankömmling erkannte: Cerim. Er schlenderte mit einem unverschämt selbstgefälligen Grinsen zu ihr,
in einer Hand das Messer, das er stets auf- und zuschnappen ließ. Wenn er so auf sie zusteuerte, fühlte sich Stella wie eine Beute, die in eine Falle geraten war und aus Leibeskräften zappelte, vergebens bemüht, Freiheit zu erlangen. Seltsam. Dabei bräuchte sie doch weder vor einem Menschen noch vor einem Messer Angst zu haben. Vielleicht lag es einfach an dem Gesamtpaket, dass ihre Nerven verrückt spielten: das bevorstehende Ritual, der nahende Kampf gegen die Verblendeten, die Zweifel … Die Zweifel? Nein, die durfte sie auf keinen Fall zulassen oder - noch schlimmer - zeigen.
»Na?«, begrüßte Cerim sie und schob seinen Kaugummi von einer Backentasche in die andere. Sein warmer Atem wehte Stella ins Gesicht.
»Was machst du hier?«, knurrte sie ihn an und verfluchte sich für ihr kurzes Zögern, das ihm ihre Verwirrung verriet. Je weniger Gefühle sie zeigte, desto sicherer war es. Denn die falschen Gefühle wurden hart bestraft.
Er zuckte mit den Schultern. »Mein Mädchen auf dem Weg zum Bunker begleiten. Du glaubst gar nicht, was für Gefahren unterwegs lauern können.«
»Aha.« Stella hatte schon längst aufgehört, ihm klarmachen zu wollen, dass sie nicht sein Mädchen war. Jeden ihrer Proteste schien er sichtlich zu genießen. Ja, für ihn war sie nichts als eine zappelnde Beute, und er wusste, dass ihr das klar war. Komischerweise imponierte ihr seine Hartnäckigkeit, weil sie sich in seiner Gegenwart tatsächlich begehrenswert fühlte.
Stella beschleunigte ihren Gang, aber er blieb ihr auf
den Fersen. Mit Genugtuung registrierte sie sein leises Keuchen. Er kam außer Atem, um mit ihr Schritt zu halten.
»Und, schon gespannt auf den großen Tag?«, fragte er betont lässig, obwohl er zwei Schritte machen musste, wo sie nur einen benötigte.
Sie sah auf ihn herab und fragte sich wie schon oft, was für einen Narren sie an ihm eigentlich gefressen hatte. Seine sehnige Statur machte aus ihm nicht gerade die Art von Mann, der sie beherrschen könnte. »Für mich - ein Tag wie jeder andere. Und du? Schon die Hosen voll?«
Natürlich hatte sie bereits unzählige Male versucht, sich auszumalen, was heute im Bunker passieren würde. Der Messias hatte verlauten lassen, an diesem bedeutenden Tag den ersten Sterblichen, die ihre Prüfungen bestanden und sich als würdig erwiesen hatten, einen Dämon zu schenken und sie somit in die höheren Ränge aufzunehmen.
Cerims Miene verfinsterte sich. »Ein Tag wie jeder andere? Du zweifelst also an den Worten unseres Erlösers?« Etwas Lauerndes, Tückisches lag in seiner Miene. Stella fröstelte beinahe. War er etwa ihr Aufpasser?
Sie biss sich auf die Zunge. Verdammt. Natürlich glaubte sie an die Worte des Messias. Nur manchmal … manchmal fragte sie sich, ob die Dämonen tatsächlich existierten. Oder ob diese
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