Hexenseelen - Roman
Vorhaben erfahren. Die anderen fürchten sich vor den Hexen und würden uns eher umbringen, als uns erlauben, in dieser Sache weiter nachzubohren. Wir müssen von hier verschwinden. Conrad wollte mein Gedächtnis löschen, denn Menschen dürfen von der Existenz der Nachzehrer nicht erfahren. Die jüngsten Ereignisse haben ihn davon abgelenkt. Aber ich weiß nicht, wie lange der Aufschub dauern wird.«
»Scht!« Ylva hob warnend den Zeigefinger. Die Krisensitzung im Laden schien vorbei zu sein. Nun hörte sie Conrads Stimme, die die letzten Anweisungen erteilte.
»… und Roland - Sie müssen Ylva bewachen und ihre Sicherheit gewährleisten. Sie darf nicht in die Hände dieses Messias gelangen. Lassen Sie sie keine Sekunde aus den Augen, verstanden?«
Also wieder - eine Gefangene? Dann wäre sie endgültig an den Dämon verloren. Ylva schlüpfte hastig in ihre nassen Klamotten und zog Alba zum Fenster. »Du hast Recht. Wir müssen von hier verschwinden. Je schneller, desto besser.«
Kapitel 10
Y lva rüttelte behutsam an dem Griff, darauf bedacht, ihn nicht abzubrechen, und öffnete das Fenster, dessen Scheibe in dem schiefen Rahmen klapperte. Risse überzogen das weiß lackierte Holz, an den Ecken blätterte die Farbe ab. Seitlich ragten schiefe Nägel aus einer Leiste - vermutlich hatte Conrad versucht, das Fenster zu reparieren. Seine handwerkliche Begabung ließ jedoch einiges zu wünschen übrig.
Ein eisiger Wind drang in die Wohnung und fuhr ihr durch die nasse Kleidung. Sie bibberte vor Kälte. Der Nager, der auf der Fensterbank kauerte, lugte auf die Straße hinaus, um dann zweifelnd zu Ylva aufzublicken. Bei diesem Wetter würde niemand auch nur einen Hund hinausjagen, doch sie schob den Gedanken beiseite. Sie hatte keine Zeit, sich in einer warmen Ecke zu verkriechen. Sie musste das Problem mit dem Dämon lösen.
»Komm, schnell«, flüsterte sie der unschlüssig dastehenden Alba zu. »Wir klettern raus und hauen ab!« Ihr feines Gehör signalisierte ihr, dass sie keine Sekunde zu verlieren hatten. Bald müsste dieser Roland den ersten Stock erreicht haben, auch wenn er offenbar trödelte.
Wachhund und Bodyguard zu spielen sagte ihm anscheinend nicht sonderlich zu, aber er wagte es nicht, sich der Anweisung seines Anführers zu widersetzen.
Alba beugte sich über den Sims und taumelte sogleich zurück. »Das kann doch nicht dein Ernst sein! Wenn ich von hier aus auf die Straße springe, breche ich mir die Beine.«
»Um die es wirklich schade wäre. Deshalb wollen wir auch nicht springen, sondern hinunterklettern. Schau dir diese Verzierungen an der Fassade an. Daran kannst du dich festhalten. Komm schon, stell dich nicht so an.« Wieder zog sie an Albas Ärmel, voller Ungeduld, weil Rolands Schritte immer näher kamen. Doch die junge Frau befreite sich aus ihrem Griff und drückte entschuldigend Ylvas Hand.
»Du vergisst, dass ich kein Metamorph bin, der eine Ratte als Seelentier hat. Ich kann nicht die Wände hoch-oder runterklettern, wie ich lustig bin. Das schaffe ich nie im Leben!«
Ylva wollte etwas erwidern, suchte verzweifelt nach Argumenten, die Alba überzeugen könnten, doch nur zwei Worte strichen durch ihr Hirn: zu spät. Mit einem Knarren verkündete die Eingangstür den Eintritt des Bewachers, der fröhlich pfeifend in das Wohnzimmer geschlendert kam. Der dickliche Junge mit Pausbacken, den Ylva im Keller k.o. geschlagen hatte. In ihrer Vorstellung wollte sich sein Aussehen nicht mit dem Bild eines gefährlichen Nachzehrers vereinbaren. Vielleicht weil übergewichtige Untote, die Jo-Jo spielten, für sie wie eine
Karikatur wirkten. Schon peinlich, wenn nicht einmal sie von Vorurteilen frei war.
»Na, meine Damen? Wie es aussieht, werden wir ein Weilchen miteinander auskommen müssen.«
Ylva knurrte. Er machte es ihr nicht gerade leicht, ihn ernst zu nehmen. Wenn dieser Bengel auch nur einen Schritt in ihre Richtung tat, würde sie ihn beißen, so viel stand fest. Dass Conrad sie ausgerechnet diesem Typen anvertraut hatte, ließ Groll in ihr aufwallen. So stark, dass sie kurz davor stand, den Dämon auf den Kerl loszulassen. Mit Genuss würde sie beobachten, wie das lässige Grinsen ihm vom Gesicht geputzt würde.
Durch ihren Zorn, aber vor allem durch ihr gekränktes Gemüt wachte der Dämon tatsächlich auf und reckte seine Klauen. Ylva wurde flau im Magen. Das Ding musste sich nicht mehr sammeln, es gab keine Larven, die zuerst zu einem Klumpen zusammenkrochen und ein Ganzes
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