Hexenseelen - Roman
gehört! Du kannst uns nicht aufhalten! Du bist ein
Nichts! Du wirst untergehen und alle mit dir reißen, die zu dir stehen, das verspreche ich!«
Ylva sah den schwarzen Nebel, der vom Boden aufstieg und die Frau im Nu verschluckte. Zurück blieben eine verstörte Linnea, die wimmerte und an ihren Kleiderfetzen zupfte, und Conrad, der mit einem Mal erschreckend fahl und ausgezehrt wirkte. Dann schwankte er.
Ylva reagierte sofort und stützte ihn, spürte sein Gewicht auf sich lasten. »Was ist mit dir?« Ihr Blick schweifte zu seiner Schulter, und sie bemerkte das Leder der Jacke, das wie von einer ungeheueren Hitze verbrannt war. »Was ist das?«
Der Schwächeanfall schien nachgelassen zu haben. Conrad stand wieder fest auf den Beinen und befreite sich sanft aus ihrem Griff. »Nichts, mach dir keine Sorgen. Ich funktioniere doch noch, oder nicht? Also kein Grund zur Panik.«
Doch Ylva hörte nicht auf ihn. Mit fahrigen Bewegungen entblößte sie seine Schulter und keuchte. Asche überzog das Mal, das Oyas Klaue hinterlassen hatte. Als Ylva darüberwischte, kam verkohltes Gewebe zum Vorschein.
Ihr wurde schlecht. Nicht bei diesem Anblick, sondern bei dem Gedanken, sie hätte Conrad verlieren können. Fast spürte sie, wie er zu Staub zerfiel und ihr durch die Finger rieselte. »Du hast doch gesagt, die Mächtige kann dir nichts anhaben.«
Er schlug die Jacke zurück und lächelte. Seine Augen
wurden sanft. »Sie hat es versucht. Aber mir ist nichts Schlimmes widerfahren. Wie es scheint, habe ich inzwischen gelernt, nicht auf ihr Flüstern zu hören.«
Aber er hatte es vorher nicht mit Sicherheit gewusst! Und sich trotzdem zwischen sie und die Hexe gestellt. »Wird es wieder heilen?«
»Bis jetzt sieht es nicht danach aus. Wir sind nun einmal nicht unverwundbar, uns wachsen keine neuen Organe nach, und das hier liegt anscheinend auch außerhalb meiner Fähigkeiten.«
»Sie sagte, ihre Leute werden dich holen, und das schon bald …«
»Ylva, wir haben bereits angefangen, einige Vorkehrungen zu treffen. Noch heute werden wir diesen Laden verlassen, er ist nicht mehr sicher. In Marias Villa werden wir unser Hauptquartier einrichten und unsere Leute und die Metamorphe unterbringen, oder zumindest einen großen Teil von ihnen. So leicht kommt keiner dort rein. Ich regele hier noch ein paar Sachen, dann fahren wir.«
Erst jetzt fand Linnea die Kraft, sich aufzurappeln. Sie stakste auf ihn zu und blieb stehen, ohne ihm allzu nahe zu kommen. Es gab nichts Erhabenes, Königliches mehr an ihrer Gestalt, die bloß pure Verzweiflung ausströmte.
»Conrad«, stammelte sie. »Ich kann dir alles erklären. Sie … sie hat mich gezwungen, mich betört und zu ihrem Spielzeug gemacht. Hilf mir, bitte! Ich brauche dich, jetzt am allermeisten.«
Er sah sie an, ohne Boshaftigkeit, aber auch ohne Mitleid.
»Ich werde mich darum kümmern, dass du etwas zum Anziehen bekommst.«
»Bitte, Conrad, lass mich nicht so zurück.«
»Niemand wird zurückgelassen. Du hast mein Wort.«
Jetzt weinte sie. Tränen flossen über ihr Gesicht, und sie schluchzte unentwegt. »Ich liebe dich! Verstehst du das nicht? Bitte, ich flehe dich an, verzeih mir!« Sie sank zu Boden, kniete vor ihm und rang die Hände. »Gib uns eine Chance! Bitte! Haben wir das nicht verdient, nach all dem, was wir durchmachen mussten?«
Er wollte etwas erwidern, dann seufzte er, unendlich müde. »Komm, Ylva.«
Er drehte sich um und verließ den Laden. Das Glöckchen bimmelte, die Tür fiel hinter ihm zu.
»Conrad!« Linnea kreischte auf, griff nach einem Blumentopf und schleuderte ihn ihm hinterher.
Das Geschoss durchbrach das Glas. Conrad duckte sich, und der Topf zerschellte auf dem Bürgersteig.
»Nicht schon wieder meine Tür«, stöhnte er auf. »Das nächste Mal lasse ich Sicherheitsglas installieren. Aber zumindest geht das nicht auf Adriáns Konto, seine Haftpflichtversicherung hat die letzten beiden Male noch nicht bezahlt.« Er winkte Roland zu, und die zwei gingen einige Meter weiter.
Ylva blickte auf Linnea hinunter. Die Arme krümmte sich auf dem Boden und heulte wie ein verwundetes Tier. So viel Schmerz, so viel Kummer und Hilflosigkeit! Die Frau tat ihr leid, denn sie wusste viel zu gut, was es hieß, abgewiesen und erniedrigt zu werden.
Ylva hockte sich neben sie und rief sie beim Namen. Linnea zischte und stieß sie von sich. Ihre Augen funkelten hasserfüllt. »Bleib mir bloß fern!«
»Linnea, ich …«
»Du! Du, du, du! Ganz genau!«
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