Hexenstein
man’s vergessen?«
Gommert schüttelte sich kurz. »Ihr wisst schon, was ich moin. Es ist alles so verrückt worden und ich mein ebe, das des die Gier ist, von den Menschen.«
Lydia blies die Backen auf und meinte genervt: »So wird es sein, Gommi, genau so. Wär alles ganz anders, wenn wir so eine Art Liechtenstein wären, gell.«
Der überging ihren Spott. »Ist doch so. Jeder muss alles haben, gleich und sofort, mit allem drum und dran und Recht auf Rückgabe und versichert ist auch alles. Wir sind doch eine Gesellschaft, wo die Leute bei dem ebay frischen Fisch bestellen, und wenn der drei Tag später per Express geliefert wird, hocken die sich in eine Talkshow und jammern drüber, dass des Vieh gemuffelt hätt und dass man nun gleich ein Gesetz bräuchte, weil alle überfordert sind.«
Schielin und Lydia Naber unterbrachen ihre Arbeiten, die inzwischen nur deshalb verrichtet wurden, um dem Philosophieren ihres Kollegen keine Aufmerksamkeit schenken zu müssen. Doch dessen letzte sinnbildliche Aussage befand sich auf einer neuen, interessanten Ebene.
Lydia erholte sich als Erste. »Gommi, mach dir keine Sorgen. Du bist doch viel zu geizig, um gierig zu sein. Bei dir daheim läuft sich ja es Mäusle in der Mehlkiste blutige Füß.«
Erich Gommert stieß sich mit entrüsteter Geste vom Türrahmen ab. »Ihr seid’s dem Ganzen auch schon verfallen.
Ich bin überhaupt net geizig. Geiz ist eine Todsünde und des net umsonst, denn der Herr will ja nicht nur, dass man gegen andere, sondern auch gegen sich selbst nicht geizig ist. Sparsam bin ich aber schon, und des ist was ganz was anderes!« Er richtete sich auf und sagte: »Der Bodensee nicht größer ward, weil eine Gans das Wasser spart.«
»Ist ja gut«, beschwichtigte Lydia, die ihre Attacke schon wieder bereute und die Sache mit dem geizig gegen sich selbst sein so noch gar nicht bedacht hatte.
Schielin murmelte: »Soso, der Herr will das nicht … ich glaube deine Hedwig will das schon gleich gar nicht und das scheint mir der stärkere Pol zu sein!«
Erich Gommert sah ihn verständnislos an und zog sich zurück. Schielin schüttelte den Kopf und sah zu Lydia. »Tss. Frischen Fisch bei ebay. Das Schlimme ist, heutzutage weiß man nicht mehr, was eine Übertreibung ist, oder nicht vielleicht schon Realität.«
*
Als alle Berichte und Anträge geschrieben waren, fuhren sie zum Anwesen in Heimesreutin. Robert Funk und Conrad Schielin koordinierten die Absuche auf dem Gelände um das Haus. Lydia Naber und Wenzel legten widerwillig die Plastikhaut an, um nach weiteren Spuren zu suchen. Das subtropische Klima, das sich sofort unter dem Kunststoff bildete, war unerträglich.
Lydia hatte vor, den Keller noch einmal genauer zu inspizieren. Es war angenehm kühl da unten und es roch nach gesundem Lehmboden – säuerlich, frisch, mit hoher Luftfeuchtigkeit und einem Schuss Moder und Vergänglichkeit. Das steinerne Gewölbe musste viel älter sein als das Haus, das sich darüber aufrichtete.
Gemüse, Konserven, Einmachgläser, Wein – alles war wohlgeordnet in Regalen verstaut und akkurat beschriftet. Überhaupt war es diese Ordnung, die jedem Raum eigen war und einem beinahe sinnlich erfahrbar wurde; so, als würde es einen Geruch für Ordnung geben. Nichts lag herum, es war nichts Überflüssiges vorhanden, jedes Ding hatte seinen Platz. Nicht einmal eine alte Zeitung oder irgendwo ein vergessener Socken war zu entdecken.
Selbst hier im Keller wurde den Dingen kein Eigenleben erlaubt. An der langen Seitenwand stand ein alter Holzschrank ohne Türen. In den engen Regalböden stapelten sich die Marmeladegläser. Lydia nahm eines heraus und las auf dem handbeschriebenen Etikett: Rhabarber-Erdbeer.
Klingt gut, dachte sie, muss ich auch mal ausprobieren, und stellte das Glas zurück in den Schrank, schob es ganz nach hinten, dass es leicht gegen die Rückwand stieß.
Sie erschrak auf der Stelle, spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie schloss die Augen, atmete dreimal tief in den Bauch ein und langsam wieder aus. Das beruhigte. Mit dem Griff der schweren Maglite stieß sie nun gegen die Rückwand des Schrankes. Wieder war dieser tiefe, dunkle Widerhall zu hören. Das konnte unmöglich alleine von diesem Schrank kommen. Es klang nach mehr, nach viel mehr – nach einem ganzen Raum. Sie klopfte noch mal gegen die Rückwand, diesmal stärker. Dann holte sie Wenzel. Sie überlegten, was sie machen sollten. Eindeutig befand sich hinter dem Schrank
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