Hexenstein
getötet, und so wie der arme Mensch ausgesehen hat, war es eine Tat, bei der viel Energie im Spiel war, dann hätte sie sich doch gestellt. Wenn sie ihn gezielt hätte loswerden wollen, wäre sie nicht verschwunden und er hätte nicht als Paket unter der Treppe gelegen. Intelligente Menschen verfügen über die Fähigkeit perfide zu denken. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut – doch wohin mit all der Wut.
Wo also könnte sie sein? Ist sie ebenfalls tot, ermordet? Im Haus oder im näheren Umfeld kann es nicht geschehen sein. Wie hat sie ihr Heim verlassen? Das Auto stand noch in der Garage, und wichtiger noch: Geht eine Frau ohne Handtasche aus dem Haus? Geld, Scheckkarte, Ausweis – alles war noch da. Nein, mein Freund. Ich befürchte, wir haben es mit etwas Außergewöhnlichem zu tun. Es ist alles anders, als es die Handbücher schildern und meine Erfahrung es mir vorgaukelt. Ich jedenfalls mache mir Sorgen. Sorgen um diese Frau … und Sorgen um dich, weil du in dieser Hitze geradeso rennst wie noch nie. Ist denn diesmal alles anders? Es muss an dieser teuflischen Hitze liegen. Jetzt sei nicht so elend artig und friss endlich mal was! Du machst mich nervös mit dieser stoischen Beflissenheit, dieser geradezu unangenehmen Bravheit. Ich wollte einen Esel – nun sei einer!«
Sie gingen ein Stück weiter. Schielin war in den gedankenlosen Trott verfallen, den er so mochte, wenn er im Gleichklang mit Ronsard dahinlief. Abrupt blieb Ronsard stehen, hob den Kopf, drehte die Ohren – und schnaubte. Schielin brauchte einige Sekunden. Etwas stimmte nicht, wenn sein Esel derart reagierte. Er lauschte und hörte nur das sanfte Plätschern des Baches. Nichts war zu hören, nichts zu sehen, aber der würzige Geruch in der Nase war deutlich. So wie zuvor dieser kühle Fleck inmitten der heißen Luft fühlbar war, machte sich die beißende Würze von kaltem Rauch, umgeben von waldigem Duft, bemerkbar.
Er ließ die Führungsleine fallen und suchte die Quelle dieses Geruchs zu ermitteln. Die fortgeschrittene Dämmerung war wenig hilfreich, zumal hier herunten, und die kleine LED-Lampe, die er immer dabeihatte, war zu einer Suche im Wald gänzlich ungeeignet.
Von jenseits des Baches konnte die Wolke unmöglich kommen. Er wendete sich dem Hang zu und krabbelte von Baumstamm zu Baumstamm nach oben. Ronsard war ihm einige Meter gefolgt, dann aber stehen geblieben, als es begann steil anzusteigen. Aufmerksam folgte er – die Ohren mehr als die Augen – seinem Besitzer. Schielin fand ein Stück oberhalb des Wegs ein kleines Plateau und in dessen Mitte die Reste einer Feuerkuhle. Jetzt konnte er seine Leuchte doch gebrauchen. Am Rand der notdürftig ausgekratzten Kuhle ging er in die Hocke und stöberte in den verkohlten Ästen, die herumlagen. Zwischen den Kohlestücken leuchtete es hell im grellen Schein der LEDs – Knochen. Schielin sah sich um. Es war still. Mit einem Holzstück schob er die Kohlenstücke und Äste auseinander und fand zwei kleine Schädel, denen beiden der Unterkiefer abhanden gekommen war. Er tippte auf Ratte, beschloss aber, dass dies der Amtstierarzt würde klären müssen.
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In der Besprechung am nächsten Morgen wurden die Arbeiten verteilt. Schielin wollte mit Lydia die Nachbarschaft noch mal eingehend befragen. Die anderen waren noch mit eigenen Fällen beschäftigt, die nun so schnell wie möglich vom Tisch mussten, um Raum für die Mordermittlung zu bekommen.
Wenzel hing am ärgsten fest. Er musste zur Obduktion fahren, hatte die Spurenauswertung zu erledigen und sollte noch zwei eigene Fälle abschließen. Einmal waren auf dem Parkplatz am OBI in der Bregenzer Straße zwei Männer derart aneinandergeraten, dass es beim einen mit einer aufgeplatzten Augenbraue und beim anderen mit einer angebrochenen Nase geendet hatte. Grund des Streits war Kritik an der Fahrweise des jeweils anderen, die in der Sache wohl berechtigt war, denn beide waren nach dem Eintreffen der Streife ihren Führerschein los. Beim Älteren war Chantré dafür verantwortlich, wie die kleinen Fläschchen hinter dem Fahrersitz und die bissige Geruchswolke um ihn herum belegten, wenngleich er behauptet hatte, zum Essen nur ein Bier getrunken zu haben. Der Jüngere hatte in der Nacht zuvor auf Caipirinha optiert und lag nach Auswertung der Ergebnisse leicht vorne. Es war zwar ein Routinefall, doch die Formulare wurden immer ausufernder, und geschrieben werden musste das Zeug nun einmal. Daneben hatte Wenzel noch
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