Hexenstein
noch im Geldbeutel, auch Ausweis und Führerschein, was etwas eigenartig ist. Ich habe im Arbeitszimmer einen kurzen Blick in die Akten geworfen. Gundolf Kohn war ein viel beschäftigter Restaurator alter Bücher. Jede Menge Aufträge und regelmäßige Zahlungseingänge. Den Kontoauszügen nach ging es den Kohns finanziell blendend. Wäre doch normal, dass da etwas mehr Bargeld zu finden wäre. Außerdem gab es Abrechnungen einer Kreditkarte, die auf seinen Namen lief. Die Kreditkarte ist bisher nirgends aufgetaucht. Sein Geldbeutel, der im Wohnzimmer, war leer, der seiner Frau hingegen nicht. Den haben wir in einer Handtasche oben im Gang gefunden. Ausweis und Führerschein waren drin und rund siebzig Euro. So betrachtet … könnte durchaus nach schnellem Zugreifen aussehen.«
Kimmel knetete seine Finger. »Eine Raubsache?«
»Na ja, vielleicht ging es ja um Geld, Schmuck, oder so. Ein Raubmord wäre durchaus denkbar. Schönes sauberes Verbrechen und ein biblisch altes Motiv dazu; müssen wir nur noch den passenden Täter finden.« So wie Funk es gesagt hatte, vermittelte er nicht den Eindruck, seiner eigenen These großen Glauben zu schenken. Es war eher ein Spiel mit dem Denkbaren.
Kimmel sah in die Runde. »Und die Ehefrau? Es gibt doch keine Hinweise darauf, dass sie verreist, oder nach Kanada zu ihrer Tochter geflogen ist.«
Lydia Naber verneinte. »Nein, es gibt keine Hinweise darauf. Wir wissen überhaupt nicht, wo sie sein könnte und müssen abwarten, was die nächsten Tage bringen. Außerdem sind wir erst mal gut damit beschäftigt festzustellen, was die Kohns für Leute waren, zu wem sie Kontakt hatten, wer Zugang zum Haus besaß, dort verkehrte – Freunde, Geschäftspartner, das ganze Drumherum eben.«
Kimmel wischte mit dem Handrücken über die Stirn. »Und die Geschichte in der Nacht, mit dem Licht im Haus?«
Schielin unterließ es, auf Ewald Kubows Beobachtungen einzugehen. Stattdessen sagte er: »Wir werden uns das Anwesen ganz genau ansehen. Gleich jetzt nach der Besprechung.«
Während er es sagte, blickte er zu Lydia Naber und Jasmin Gangbacher.
Erich Gommert hatte sofort weggesehen, als er merkte, dass Schielin seinen Blick schweifen ließ.
»Und Spuren?«, fragte Kimmel weiter.
Lydia schnaufte hörbar aus. »Wir haben zwei Kisten drüben stehen. Wird einige Zeit dauern, das alles auszuwerten. Was wir hier mangels Technik nicht erledigen können, geht sofort zum LKA. Zwei, drei Spurenträger haben wir schon vorbereitet. Wenzel und ich schauen uns auch noch mal im Haus um. Wir brauchen da alle noch einen zweiten und dritten Blick auf das Ganze.«
Die Runde löste sich auf, als die Nachricht kam, dass der Hundeführer mit dem Leichensuchhund aus Kempten eingetroffen war.
Kimmel beauftragte Gommert noch heute die biologischen Spuren, wie er es etwas ironisch ausdrückte, nach München zum Landeskriminalamt zu bringen. Dort war eine Biologin bereits informiert und wartete auf die Tierchen. Gommert hatte keine Probleme damit. Es war ihm lieber nach München zu fahren, als in dieses Haus zu müssen, in welchem so schreckliche Dinge passiert waren. Das Landeskriminalamt in München kannte er, da war er schon einmal gewesen.
*
Kurze Zeit später, Schielin und Lydia Naber saßen im Büro und waren mit Schreibkram beschäftigt, wurde ihr konzentriertes Tun von Erich Gommerts Stimme unterbrochen. Er war wie ein Geist herangeschlichen und lehnte plötzlich am Türrahmen. »Es gab emol eine Zeit in Lindau, da war des ein richtig ruhiges und beschauliches, friedliches Städtle, wo alles seine Ordnung gehabt hätt …«
Lydia suchte in der Schublade herum und sprach wie nebenbei. »Du meinst die Zeit vor fünfundvierzig, oder?«
Erich Gommert ging nicht darauf ein. »Da hat’s die Stadtteile gehabt, der Sommer war Hauptsaison, es Kinderfest gab’s, und wer auf der Insel geboren war, war mehr und schöner am Leben als alle andern … und mein Großvater hat schon früher immer g’sagt, dass es ein großer Fehler gewesen sei, damals nach dem Krieg, als Lindau ein eigenes Land war – nicht Deutschland, nicht Österreich, nicht Besatzungszone, weil sie uns vergessen hatten –, dass man damals nicht hat ganz eigenständig werden können. Ein großer Fehler. Und ich bin der gleichen Meinung. Da hätten wir nämlich heut unsere Ruh’ vor München und Kempten.«
Schielin unterbrach kurz und fragte: »Gibt’s die Stadtteile vielleicht nicht mehr, Gommi? Ist dein Bodolz abgeschafft worden, hat
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