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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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lassen, um nicht doch auf etwas zu stoßen, was ihn vielleicht hätte stören können.
    *
    Nur kurz ließ er einen kühlenden Wasserstrahl über sich laufen, zog weite, leichte Klamotten an und ging hinüber zur Weide. Lena stand im Schatten der Bäume und striegelte einen der Friesen. So wie Ronsard glänzte, hatte er kurz zuvor ebenfalls diese für ihn seltene Behandlung erfahren.
    Es musste die Eseln eigene Form von Höflichkeit sein, die Ronsard bisher daran gehindert hatte, hinüber zur staubigen Kuhle zu traben und sich im trockenen Staub zu wälzen. Schließlich war ihm bewusst, dass in exakt diesem eselhaften Verhalten einer der Gründe lag, weswegen ihm seitens der Töchter weniger Wohlwollen zuteilwurde, als diesen hysterischen Friesen, von denen er zugeben musste, dass sie, was das Aussehen anging, schon etwas darstellten – aber die inneren Werte waren es doch, auf die es ankam!

    Schielin ließ den Haken der Führungsleine an Ronsards Halfter einschnappen und ging los – auf eine beiden wohlvertraute Abendrunde: zuerst rüber nach Streitelsfingen, hinter den einsamen Häusern in himmlischer Lage über die Wiese und endlich hinunter in den Tobel. Meistens kamen beide über die Bäuerlinshalde wieder zurück.
    Einige Male blieb Schielin stehen und suchte den Horizont. Über dem See hatte sich ein depressives Grau eingenistet. Es haftete glücklicherweise so hoch droben, dass die dominanten Umrisse des Säntis und, darunterliegend, die Appenzeller Hügelzüge erkennbar waren, von welchen die ersten Lichtpunkte herüberflimmerten. Schielin wanderte stumm auf bekannter Route. In der Nähe des Waldes, beim Queren einer Streuobstwiese, geriet er für einige Meter in ein Fragment spürbar kühlerer Luft. Wie auch immer es entstanden war und sich der Hitze gegenüber hatte behaupten können, hier auf freier grüner Wiese, zwischen alten Hochstämmen – es war ein erfrischendes Gefühl.
    Sogleich machte sich die Abwärme von Ronsards mächtigem Leib bemerkbar. Der trottete unbeeindruckt von äußeren Einwirkungen dahin. Bisher hatte er noch nicht einmal versucht, den Gang durch eine Fressattacke zu unterbrechen. Schielin überlegte, ob mit dem Tier alles in Ordnung war. Ein ganzes Stück war er nun schon unterwegs, fast schon am Eingang zum Tobel und noch nicht ein Mal hatte Ronsard seinen Kopf mit magischer Kraft zur Seite gezogen, einem fetten grünen Grasbüschel zu.
    Schielin tätschelte den Hals seines Esels und stieg gemeinsam mit ihm in das Dunkel des Waldes hinab, ließ Geräusehe und Lichter der Oberwelt hinter sich und bald waren nur noch die rauschende Stille der Bäume und das Glucksen des Baches zu hören. Ronsards Hufe klackten auf den steinigen Abschnitten des Weges.
    Es war Schielin, der plötzlich stehen blieb und Ronsard damit überraschte, denn das war üblicherweise dessen Part, seinen Führer aus den Gedanken zu reißen. Ronsard nahm den Kopf zur Seite und drehte die Ohren nach hinten, in Schielins Richtung.
    »Wo könnte die Frau bloß sein?«, fragte Schielin laut, »mhm, was denkst du?!« Ronsard drehte sich gelassen dem Weg zu und setzte die Wanderung fort.
    Ist ja was völlig Neues, dachte Schielin und sprach nun eben während des Gehens. »Wenn sie ihn umgebracht hätte, dann säße sie inzwischen schon bei uns auf der Dienststelle, hätte sich gestellt oder wäre, auf welche Weise auch immer, aufgegriffen worden. Flöge meine Fantasie ein wenig, dann könnte ich mir sogar vorstellen, dass eine Ehefrau ihren Mann auf so untypisch brutale Weise tötet, anschließend verpackt und in einem Loch versteckt. Aber danach!? Wenn nach den Stichen, wenn nach der Plage, aller Hass verschwunden ist, wenn alle böse Energie zerstieben ist, wenn der impulsive Plan des Affekts an sein Ende gekommen ist – dann kommt doch die Leere. Die meisten Frauen stellen sich, weißt du. Oder sie irren durch die Gegend und werden aufgegriffen. Manche, es sind nur wenige, fahren zu Menschen, die ihnen nahestehen, erzählen das Geschehen wie ein unheimliches Märchen aus anderer Welt, als handele es sich um eine andere Person, die betroffen ist. Und wie geht es dann weiter? Die Polizei wird verständigt und wenn jemand Kluges beteiligt war, wird ein Anwalt schon unterrichtet sein. Aber in diesem Fall …? Ich denke nicht, dass sie ihn getötet hat. Weißt du, ich habe sie auf einem Foto gesehen. Sie machte einen sympathischen, intelligenten Eindruck. Wie gesagt, hätte sie ihn aus aufgestautem Hass im Affekt

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