Hexenstein
Geschäftspartnern redete.
Der Ernst, mit welcher sie die Sache betrieben, überraschte ihn und er hörte sich ein zustimmendes »Okay« sagen, ohne dabei an Prozente zu denken. Er sprach mehr zu sich selbst, bestätigte die gerade gemachte Erkenntnis. Und ein wenig fühlte er sich wie jemand, der etwas verloren hatte. Eine Zigarette wäre jetzt gut gewesen, vielleicht auch eine Zigarre und ein Cognac dazu.
»Und welche Rolle spielt unser grandioser Nachbar bei der ganzen Angelegenheit?«, wollte er noch wissen.
»Ach, der Albin geht mit und erzählt alte Geschichten über Lindau und so. Das mögen die Leute, das interessiert sie und keiner kann das besser als der Albin.«
»Soso, der Albin erzählt alte Geschichten. Wann soll’s denn losgehen?«
Die beiden sahen sich kurz an. Nicht ohne Stolz meinte Lena: »Nach den Pfingstferien. Vier Touren sind schon ausgebucht. Zweimal die Woche, Dienstag und Donnerstag.«
Schielin schwieg. Von hinten war ein vom Nikotin rau gewordenes Lachen zu hören. Marja sagte: »Kaum zu glauben, wie viele Menschen es gibt, die ihr Herz … und anderes … einem Esel schenken, nicht wahr?«
*
Später am Abend waren Robert Funk und seine Frau vorbeigekommen. Mit keiner Silbe wurde der Fall erwähnt. Es war sogar so, dass Schielin überhaupt nicht an den Toten und an die verschwundene Frau dachte. Es war ein Genuss, bis spät in die Nacht draußen zu sitzen und zu spüren, wie die Temperaturen etwas erträglicher wurden.
Trotz des Weines und der späten Käseplatten, war Schielin nach wenigen Stunden Schlaf hellwach und fühlte sich fit. Nach einer langen Dusche und einer Tasse Kaffee in aller Stille, nur vom Klacken der Uhr begleitet, fuhr er los. Er war der Erste auf der Dienststelle und setzte Kaffeewasser auf. Die Zeit, bis er das Pulver aufbrühen konnte, nutzte er und fuhr die Rechner in den Büros hoch. Als alles erledigt war, hatte er Zeit zu recherchieren. Carmen Lasalle und Carmen Kohn – die beiden Namen waren es, die ihn interessierten. Auf seinem Schreibtisch lag ein Aktendeckel mit den Ergebnissen der routinemäßigen Erhebungen und die Akten sprachen nicht viel über Carmen Kohn, geborene Lasalle. Sie hatte keine Vergangenheit, die man hätte nachverfolgen können. Die Eltern waren gestorben, als sie noch ein Kind war. Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr war sie in einem Heim untergebracht, Geschwister gab es nicht, die Ehe mit Gundolf Kohn war ihre erste; nachdem sie das Heim verlassen hatte, war sie nach Frankreich gegangen, hatte dort als Übersetzerin bei Airbus in Toulouse gearbeitet und nebenzu Reisegruppen betreut. Gundolf Kohn hatte sie wohl bei letzterer Tätigkeit kennengelernt. Seit der Heirat mit ihm lebte sie wieder in Deutschland. Mehr wusste er nicht.
Schielin klappte den Aktendeckel zu und sah zum Fenster hinaus, wo ein fahles Morgenlicht alle Konturen glättete. In seinen Gedanken sprangen wieder Lydias Worte herum: Agent. Geheimdienst. Er verwarf diese Variante aber wieder, denn dazu waren diese abgebrochenen Lebensläufe zu wenig perfekt, zu wenig geglättet. Er klappte den Aktendeckel wieder auf und notierte den Namen des Heimes, in welchem Carmen Lasalle gelebt hatte. Mädchenheim hieß es schlicht, in einer Kleinstadt hoch im Norden. Nach einigen Recherchen hatte er die Telefonnummer der Diakonisch-Pädagogischen Einrichtung, wie es heute hieß und weit größer und bedeutender klang als Mädchenheim. Eine solide Einrichtung, wie er meinte, nachdem an einem Samstagmorgen tatsächlich jemand den Telefonhörer abnahm und ihm geduldig zuhörte. Kurz darauf legte er einige Papiere in das Faxgerät und tippte die Nummer des Polizeipostens ein, in dessen Zuständigkeitsbereich das Heim lag. Mit den Kollegen dort hatte er bereits telefoniert. Sie würden abholen, was er brauchte, und ihm per Mail zusenden. Wie gut, dass es noch ein paar Polizisten bei der Polizei gab.
Vom Gang her war Erich Gommerts Stimme zu hören. Wenzel und Funk arbeiteten bereits in ihren Büros. Kurz vor der Morgenbesprechung um zehn traf auf Schielins Computer eine Mail mit schlichtem Bling ein; ein sachlicher kurzer Bericht, kollegiale Grüße und im Anhang die eingescannte Akte Carmen Lasalles aus dem Mädchenheim. Es schienen kurze Wege zu sein, dort oben um Oelde, Beelen und Warendorf; und der Kollege, der sich die Geschichte Schielins geduldig angehört hatte, war kein Abwimmler gewesen.
Endlich war etwas mehr über Carmen Lasalle zu erfahren. Eine Kopie der Akte
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