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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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seiner kurzen Antwort war anzumerken, dass er im Zweifel darüber war, ob er diesem Anrufer trauen konnte.
    Schielin verzichtete auf Phrasen oder lange Vorreden. »Der Grund, weswegen ich bei Ihnen anrufe, hat einen Namen: Carmen Lasalle.«
    Am anderen Ende war nichts zu hören. Vielleicht erinnerte er sich ja auch nicht an das Mädchen, das vor über dreißig Jahren in seinem Heim eines unter vielen gewesen war. Schielin wusste, wie schwer er sich tat, die Schulkameraden seiner Töchter korrekt zuzuordnen und wie viele Kinder erlebte wohl ein Heimleiter im Laufe seines Berufslebens? Wie alt mochte er inzwischen sein und wie zuverlässig seine Erinnerung? Schielin wollte schon den Rückzug antreten.
    »Was ist denn mit Carmen Lasalle, wenn ich fragen darf«, klang die Stimme des Gegenübers stockend.
    »Sie erinnern sich an sie?«
    »Ja, und ob. Hat mir schließlich viele Sorgen gemacht, das Mädchen … aber erzählen Sie doch … was sagten Sie, von wo rufen Sie an … aus Lindau, vom Bodensee? Ist ja weit gekommen, die Carmen.«
    Schielin erzählte schmucklos von dem, was geschehen war. Als er geendete hatte, lauschte er wieder in den Hörer, in welchem – digitale Technik hin oder her – tatsächlich ein Rauschen zu hören war. Nach einer Weile kam ein bitteres Lachen aus Rheda-Wiedenbrück. Wilhelm Kurz sagte mit brüchiger Stimme: »Ist schon seltsam, nicht wahr, dass einem ein vermisster Mensch dadurch wiederbegegnet, indem ein anderer ihn vermisst.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Er dehnte ein langes, nachdenkliches »Ja«, bevor er zu erzählen begann: »Carmen … Carmen Lasalle hat unser Kinderheim ja nicht einfach so verlassen. Nein. Sie war über Nacht verschwunden. Nicht lange nach ihrem achtzehnten Geburtstag war das. Und seither habe ich nie wieder etwas von ihr gehört. Hat mich einige Nächte gekostet damals, glauben Sie mir.« Es entstand eine Pause. Schließlich stellte er für sich fest: »Sie ist also verheiratet, soso«, wobei es klang, als könnte er sich das nicht recht vorstellen. »Hat sie denn Kinder?«, lautete seine nächste Frage.
    »Nein. Ihr Mann hat eine Tochter aus erster Ehe, aber es gibt keinen Kontakt.«
    »Ah ja, das hört man oft, so was. Keinen Kontakt. Und jetzt ist sie also wieder verschwunden.«
    »Ja, sie ist wieder verschwunden und wir wissen im Grunde genommen nichts über sie. Daher dachte ich, Sie könnten uns vielleicht weiterhelfen. Es wäre ja möglich gewesen, dass, auch wenn alles lange zurückliegt, noch Kontakte bestehen, von denen wir nichts wissen. Kontakte, die man wieder aufleben lassen könnte, befände man sich in einer schwierigen Situation, nicht wahr. Bei Ihnen hat sie sich also nicht gemeldet.«
    Wilhelm Kurz lachte. »Nein, das hat sie nicht.«
    »So wie Sie das sagen, halten Sie meine Frage anscheinend für völlig abwegig. Die Umstände sind wohl nicht danach.«
    »Ja, Herr Schielin. Die Umstände sind wirklich nicht danach. Völlig ausgeschlossen. Carmen Lasalle muss mich ja regelrecht gehasst haben. Sie war das, was man wohl als wildes Mädchen bezeichnet«, er lachte wieder, diesmal mit mehr Fröhlichkeit, »ein Begriff aus der guten alten Zeit, nicht wahr. Sie war jedenfalls voller Energie, unglaublich frech, manchmal auch aggressiv, aber im Rahmen. Sie ist ständig ausgebüchst, war in der Stadt unterwegs, ist nächtelang nicht nach Hause gekommen … und ich als Heimleiter hatte mit ihr … leider muss ich sagen, leider … eigentlich nur wegen unangenehmer Dinge zu tun. Disziplin, Schule, Arbeit – ihre drei Feinde. Mein Gott, dieses Gör hat mir das Leben nun wirklich nicht leichter gemacht, aber sie war trotz allem ein Mensch, den man mochte, den man mögen musste. Hm, nur die Lehrer, ich glaube, von denen mochte sie keiner.«
    »Das ist auch so eine Sache«, sagte Schielin, »wir haben keine Zeugnisse von ihr finden können.«
    Wilhelm Kurz reagierte deutlich erheitert, so als wäre ihm eine amüsante Begebenheit aus der Vergangenheit wieder in den Sinn gekommen. »Das verwundert mich nicht, wozu auch. Die Zeugnisse liegen sicher noch in einem Karton auf dem Dachboden im Haus.« Er sprach nicht von Heim, sondern verwendete das Wort Haus in einer solchen Weise, die deutlich machte, dass es ihm viel bedeutete. »Glauben Sie mir, diese Zeugnisse waren es auch nicht wert, mitgenommen zu werden.«
    Schielin zeichnete mit dem Bleistift Kästchen auf dem Notizblock. »Sie sagten, sie wäre kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag verschwunden. Dann

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