Hexenstein
waren nicht seine Sache – im Leben nicht und im Spiel hier desgleichen. Neben Schielin saß ein ewig frisch pensioniert aussehender Berliner, der über die Bahn nach Lindau gekommen und hier hängen geblieben war. Er besprach ständig die Spielsituation und war seiner Sprachmelodie nach eindeutig seiner Heimatstadt zuzuordnen. Der Vierte war ein langer Schlaks, der weder lachte noch jammerte oder irgendein Wort verlor. Schielin taufte ihn den Stummen. Er beobachtete, wie ihm ein langes Nervenzucken über das Gesicht lief, als der Gutmütige mit langsamer Bewegung die Herz-Ass auf einen Eichel-Zehner fallen ließ, den er angespielt hatte. Der Berliner hatte den Eichel-König wortlos weggeworfen und nach der roten Sau fiel die Eichel-Ass, der die Katsch einen bösen Fluch nachschickte. Sie unterbrach ihr Fluchen und widmete sich dem Gast. »Hat die Bullerei nichts Besseres zu tun, Herr Conrad, eh, als mir beim Unglück zuzusehen?!«
»Spannend ist es allweil zu sehen, welchen Weg das Glück nimmt.«
Der Berliner krähte los. »Glück, Glück … Können isset! Mitzählen, aufpassen, rechnen, denken, Stratejiie, wa! Deswejen hockt de junge Bagasche ja auch vorm Computer und fängt es schießen an … sollten in der Schule mal lieber Kartenspielen lernen – macht Freude, ist jesellig und da wäre des Zählen, Rechnen und Mitdenken ooch gleich mit dabei.«
Der Gutmütige lachte ein paar Mal tief, hörte aber sogleich auf, als die Katsch neben ihm knurrte. Der Stumme hatte derweil neu gemischt und die ersten vier Blatt waren aufzunehmen. Schielin war sich sicher, dass sie zufrieden war, so leidig wie sie murrte.
»Die Stadt ist voll bis obenhin. Es scheint so, dass die Hitze keinen mehr schreckt, heutzutage. Immer ran an den See, wo es eng ist, gehen immer noch ein paar mehr dazu«, sagte sie und ordnete die Karten sorgsam.
Die anderen murmelten eine Zustimmung.
»Überall ein Gejammer und Gewinsel wegen Krise. Es Fernsehen mach ich schon gar nimmer an. Aber hier bei uns am See … Krise? … was es nur ist, dass die Leut alle nach Lindau kommen?«, fragte sie in die Runde.
Der Gutmütige sah in die Karten und lachte dumpf. Ihm war es gleich.
»Det is die Bankdichte«, sagte der Berliner.
Der Stumme drehte den Kopf und sah ihn schweigend an. Wie auch sonst.
»Bankdichte?«, krähte die Katsch, und zählte auf: »Bodenseebank, Sparkasse, Volksbank, Hypochonderbank …«
Der Berliner verzog das Gesicht. »Nee, nee, nee. Nich det Jekräusel. Bänke! Sitzbänke meen ick, Sitzjelejenheiten! Überall, wo de hier jehst und stehst, kannste sitzen, wa! Schau dir nur mal auf der Insel um. Alle paar Meter ne Bank. Am Ufer lang, da wird einem fast schon die freie Sicht auf Berje und Wasser von all den Bänken verstellt. Am Hoyerberg, im letzten Winkel, in exklusiver, romantischer Lage keene Pommesbude, keen Bauschild für ne Villa – nee – ne Bank. Det, sach ich dir, findest de sonst nirjends. Andernorts, da treiben se det Touristenvieh, wenn’s na müde und abgelatscht is, in de Cafés und Restaurangs, durch müde Beene wehrlos an Körper und Geist jemacht und zum Blechen vorbereitet … aber hier am See!? Kannst überall in Ruhe sitzen und gucken und ausruhen. Det mögen die Leute, so isses, det mögen die Leute: sitzen und gucken und nischt für zahlen müssen, deswejen heißt es hier ja ooch Gäste und nich Touris. Und wir Balina, wir sitzen schon auch mal janz jerne, wa.« Er sah in die Runde und erwartete Zustimmung. Der Gutmütige hatte Wasser in den Augen und vom Stummen war tatsächlich ein Nicken gekommen Nur die Katsch war mit der Liebeserklärung nicht zufrieden. Sie giftete den Berliner an. »Jaja, ihr Berliner sitzt mal gerne rum und schaut – vor allem, wenn’s nix kosten tut!« Dann sah sie Schielin an und ihre Stimme verlor den giftigen Klang. »Schlimme Sache, schlimme Sache, was da geschehen ist, aber vielleicht hat er es wohl verdient, wenn’s ihm schon geschehen ist.«
Das restliche Blatt war inzwischen gegeben und sie krähte über den Tisch: »Mit der Bumpel!«
»Mit der Alten also«, echote der Gutmütige.
Der Berliner schwieg und ordnete sein Blatt anders.
»Kontra!«, bellte der Stumme und schlug mit den Fingerspitzen gegen seinen Kartenfächer, dass es knallte. Seine Augen fieberten. Die Katsch wiegte sich im Stuhl, als wäre sie getroffen und verwundet. Schielin folgte der Szene und wartete auf ein »Re!«. Sie schien den Stummen aber zu fürchten und schwieg. Der Berliner ätzte in
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