Hexenstein
»Vertrauen hast du noch nie eins jehabt, Katsch, alte; noch nie jehabt. Seh ich dir doch die Eichel-Ass an der Nasenspitze an. Immer detselbe mit dir, keen Vertrauen in die Menschheit, wie det bei anderen so der Fall ist.«
»Viele von den anderen sind auch schon tot, weil sie zu viel Vertrauen hatten, als sie noch lebten«, giftete sie zurück. Die Eichel-Ass fiel beim dritten Stich an den Gutmütigen, der seine breite Hand über sie legte und die Karten zu sich zog. »Ist kein gutes Zeichen, wenn wieder Kanonen durch die Straßen gezogen werden. Gar kein gutes Zeichen.«
Die Katsch gab einen Laut von sich, der ausdrückte, dass sie von dem Ganzen nichts mehr hören wollte. Der Berliner schüttelte den Kopf. Der Stumme sah Schielin mit glotzenden Augen an und sagte: »Maibaum.« Dann griente er in die Runde. Die Hagere und der Berliner erwiderten seine Freude nicht. Sie zahlten dem Gutmütigen das gewonnene Solo. Schielin war fast erschrocken, als er den Stummen ein Wort hatte sagen hören.
Gerade als er den Gedanken zuließ, wieder zurück zur Dienststelle zu gehen, schwang die Türe auf und Lydia Naber stand im Raum. Er sah sie als Spiegelung in einer der Glasscheiben, wo sie wie eine Fee, überzogen mit grünem Lindenmuster, erschien.
»Bingo«, sagte sie, als sie ihn entdeckte.
»Schon wieder bingo?«
Sie machte mit dem Kopf eine Bewegung zum Ausgang hin und sagte: »Wir haben ihn.«
Auf dem kurzen Weg zurück zur Dienststelle setzte sie ihn von einem Fax des LKA in Kenntnis. Offensichtlich hatte Wenzels Nachhaken gewirkt. Im LKA hatte man eine DNS-Spur anhand eines Nasenhärchens sichern können, welches unter einem kleinen Stück Tesafilm geklebt hatte.
Der nur wenige Zentimeter lange Klebestreifen haftete an der blauen Plastikfolie, in der Gundolf Kohn eingewickelt war, und bei der routinemäßigen Recherche der Spur in der Datenbank war ein Treffer gemeldet worden.
Nun also doch eine objektive Spur, sagte Schielin versonnen. Lydia Naber sah ihn skeptisch an.
Er fragte sie: »Und zu welcher Nase gehört die Spur?«
»Zur Schnapsnase von Herrn Haubacher.«
»Ach du Scheiße«, entfuhr es Schielin.
*
Alle hatten die Dienststelle verlassen, um die Festnahme von Jürgen Haubacher zu vollziehen. Es gab viel zu tun. Gegen seine Frau bestand inzwischen auch Haftbefehl und ihre beiden Kinder mussten untergebracht werden. Nur Erich Gommert war auf der Dienststelle zurückgeblieben. Eine Stimme riss ihn aus seinen Tabellen, die er für das große Präsidium in Kempten zu erstellen hatte. Ein lautes »Hallo« war zu hören gewesen.
Im Gang traf er auf eine seriös wirkende Erscheinung, einen Mann in dunkelgrauem Anzug, der erwartungsvoll vor ihm stand. Kurzhaarschnitt, grau melierte Haare, eine dünne Aktentasche unter dem Arm. Er sagte: »Ich bin aus München.«
»Ich bin aus Bodolz«, erwiderte Erich Gommert und sah den Fremden fragend an.
»Schiebenstein, mein Name ist Schiebenstein, aus München, ich hatte meinen Besuch angekündigt.«
Erich Gommert nickte freundlich, jedoch ohne Anzeichen von Aktivität zu zeigen.
»Ministerium«, fügte Schiebenstein schlicht hinzu, wobei die Leere nach dem Wort die eigentliche Botschaft beinhaltete. Ein magisches Wort, welches unter denen, die wussten, was hinter den Mauern von Ministerien geschah, Ehrfurcht und Respekt verströmte.
»Ach so, der Übrige aus dem Ministerium«, entfuhr es Gommert und mit einer weiten, einladenden Handbewegung bat er den Ministeriellen einzutreten, der dabei zweimal versuchte richtigzustellen, dass er nicht »Übrig« hieß, sondern »Schiebenstein«, und sich einfach ein wenig umsehen wollte.
Erich Gommert war vorausgegangen und hatte in wenigen Sätzen vom Mordfall berichtet, der sie gerade beschäftigte, um dann intensiv auf den Einbruch im Tierheim einzugehen. Sie waren ganz hinten im Gang, wo Erich Gommert die Büros von Schielin, Lydia und Wenzel zeigte, sowie den schmucklosen Vernehmungsraum. Vorne im Geschäftszimmer klingelte das Telefon und Erich Gommert entschuldigte sich mit einer etwas hysterischen Handbewegung. Schiebenstein setzte eine verständnisvolle Miene auf, und ließ ihn gehen. Er öffnete eine Türe, vor der er eine hohe Konzentration von Kaffeegeruch feststellte. Es war der Besprechungsraum. Auf dem Tisch standen zwei Flaschen. Eine kleinere ohne Beschriftung, mit einer hellen, klaren Flüssigkeit. Eine weitere Flasche, gut halb voll mit modernem Etikett: Müller-Thurgau, Gierer – las Schiebenstein.
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