Hexenstein
eine Idee«, versuchte Brüggi den Gedanken zu verflüchtigen.
»Entschuldigen Sie die Frage, Herr Brüggi, aber wozu bräuchte Brender Sie denn … ich meine …«
»Weil er keine Ahnung hat, was die Bücher wert sind, dieser Kretin. Und gemeinhin wohnen meine Kunden nicht ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Ich erhalte mein Honorar für mein Wissen, für meine Kontakte, für die Abwicklung des Geschäftes an sich und für meine Seriosität.«
Das stimmt, dachte Schielin.
Nach dem Gespräch fuhr er zusammen mit Brüggi ins Haus nach Heimesreutin. Das Buch, von dem zuvor die Rede gewesen war, befand sich nicht unter denen in der Werkstatt, und wo hier ein Versteck sein sollte, konnte sich Schielin beim besten Willen nicht vorstellen, nachdem sie das Haus bereits zweimal komplett auf den Kopf gestellt hatten.
»Was macht dieses Buch denn so wertvoll?«, fragte er auf dem Rückweg.
Brüggi sah ihn verständnislos an. »Es gibt nur drei Exemplare und ich möchte behaupten auch ein paar Menschen, die morden würden, um in den Besitz eines solchen Buches zu gelangen. Es umfasst eine Sammlung von Beschwörungsformeln, Zaubersprüchen. Unsinn natürlich, aber gerade in der okkulten Szene heiß begehrt. Was glauben Sie, wie viele sich heute für Hexenmeister halten und gern ein wenig zaubern würden. Es geht um Macht, andere wollen ihre Kinderträume ausleben, oder ihrem Versagen ein monströses Mäntelchen aus Wichtigtuerei überstülpen, was weiß ich … bei einigen bleibt es Spiel oder Spielart, bei anderen gewinnt das Ganze eine unangenehme Dynamik.«
»Sie scheinen sich mit diesen Dingen auszukennen.«
»Nicht wirklich. Es ist nur so, dass ich in meinem Metier nicht selten mit solchen Leuten zu schaffen habe, deren ganze Begierde auf ein paar neue Zeichen und ihre mögliche Wirkung ausgerichtet ist.«
»Und Sie können sich vorstellen, dass Menschen töten würden, um so ein Buch zu erlangen.«
Beat Brüggi sah Schielin verwundert an. »Na, Sie müssten doch eigentlich wissen, was so an Verrückten unterwegs ist.«
Schielin schnaufte zustimmend. »Wie viel ist dieses Buch in etwa wert?«
»Der Wert resultiert grundsätzlich aus der Machart des Buches und der Umsetzung der Inhalte – wie aufwendig der Einband ist, die verwendeten Materialien – Leder, Silber, das Papier. Dann der künstlerische Wert der Ausgestaltung – Schrift, Initialen, Ornamenten, Illustrationen. Dann natürlich das Alter. Und wenn der Inhalt dann noch von Bedeutung ist, es einen solventen Interessentenkreis gibt und nur noch wenige Exemplare verfügbar sind, tja, dann kann das schon sechs- bis siebenstellig werden. Und bei den Sieben Martern handelt es sich wirklich um ein Kunstwerk. Das Original wird in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt, diesem Tempel für Buchkunst«, Brüggi unterbrach und vollführte eine schwelgerische Bewegung mit den Armen, »Waren Sie da schon einmal, in St. Gallen, haben Sie sich dieses Wunder angesehen? Es ist unvorstellbar, diese Pracht. Und dieser feine Geruch nach Wissen.«
Schielin war dort gewesen und nickte.
Brüggi erzählte zufrieden weiter. »Neben dem Original existieren noch zwei handschriftliche Kopien. Eine davon hatte ich Gundolf Kohn gegeben, die zweite liegt in der Bibliothek in Sevilla. Es war in der Entstehungszeit nicht möglich dieses Buch zu drucken, weil damit das geheime Wissen Fremden zugänglich gemacht worden wäre. Außerdem drohten zum Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts noch ganz andere Martern für ein derartiges Werk – die Inquisition war noch tätig.« Brüggi hob den Kopf. »War diese Maria Madlenerin eigentlich die letzte Hexe, die in Lindau hingerichtet worden ist, siebzehnhundertdreißig?«
Schielin verzog das Gesicht. Er hatte sich mit Hexen bisher nicht befasst. »Wir wollen es hoffen … aber zurück zu dem Buch. Wenn man es in schnöden Zahlen ausdrücken wollte, den Wert?«
»Versichert ist es mit neunzigtausend.«
»Euro?«
»Nein, Dollar.«
»Na, dann geht es ja.« Schielin wunderte sich zuerst, dass Brüggi den Verlust des Buches nicht bejammerte. Dann überwog aber der Respekt, denn er merkte, dass ihn der Verlust zwar schmerzte, er darüber aber kein Wort verlieren wollte.
Den Abend verbrachte Schielin gemeinsam mit seiner Familie, die ab morgen im Schweizer Exil sein würde. Er schlief wider Erwarten ruhig und fest. Im näheren und weiteren Umkreis tauchten die Nacht über einige Streifenfahrzeuge auf und hatten wache
Weitere Kostenlose Bücher