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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Er nahm die kleinere Flasche zu Hand, löste den Verschluss und schnupperte. Ein benebelnd fruchtiges Aroma strömte in die Nase und mit einem Mal roch er die Vergangenheit. Es war, als hätte der Geruch längst vergessene Erinnerung wiederbelebt. Er roch die späte Wärme eines sommerlichen Herbstes, reifes grünes Gras, das geschnitten dalag, darüber tanzende Mücken und Glockengeläut aus der Ferne. Er sah das verwaschene graue Kittelchen seines Großvaters wieder und den Wetzstein, der aus der linken Tasche lugte. Schiebenstein nahm die Flasche zum Mund und nippte. Die Birne schmeckte gleich vorne an der Zunge und ihre Aromen wurden breiter und süßer an den Seiten. Schiebenstein schmatzte zweimal. Hinten erst, im Rachen, kam der Alkohol. Er stellte die Flasche zurück und merkte sich den Müller-Thurgau. Um die Ecke, zwei Türen weiter, traf er auf eine Antiquitätensammlung. Hinter einem breiten Schreibtisch stand ein gepolsterter Sessel. An den Wänden hingen Ölgemälde, ein bordeauxroter Teppich lag auf dem Dielenboden. Gerne wäre Schiebenstein in den Raum getreten, um die Signaturen der Gemälde zu entziffern. Doch auf dem großen Biedermeiersessel seitlich des Schreibtischs hatte es sich ein Hund gemütlich gemacht, der sich gestört fühlte und ihn unleidig anknurrte, als er Anstalten machte, seinen Fuß über die Schwelle zu setzen. Leise zog er die Türe wieder zu, ohne sie ins Schloss fallen zu lassen. Es war vermutlich das Chefzimmer. Die Irritation hatte Schiebenstein völlig ergriffen. Als Erich Gommert kurz darauf zurückkehrte, deutete er auf die Bürotüre und meinte: »Chef?«
    Gommert schüttelte den Kopf und erklärte wer Robert Funk war. Dann fragte er.: »Was machen Sie denn so im Ministerium?«
    »Besprechungen«, sagte Schiebenstein.
    »Ah so. Die machen wir hier auch«, entgegnete Erich Gommert.
    Schiebenstein nickte und fühlte der Erinnerung des Williams nach.
    Gommert fragte unschuldig. »Und sonst so?«
    »Was?«
    »Ja … ich meine so, wenn keine Besprechung ist.«
    Schiebenstein sah ihn fragend an und wiederholte halblaut für sich. »Wenn keine Besprechung ist.«
    Gommert nickte ihm aufmunternd zu.
    »Also wenn keine Besprechung ist, dann ist Meeting, Review oder Kick-off-Plenum.«
    Erich Gommert machte große Augen. »Jaja … und Rebirthing und so … des ham mir hier natürlich net, so was.« Er hakte neugierig nach, »Was is des eigentlich genau?«
    Schiebenstein musste überlegen und sagte schließlich: »Besprechung.«
    »Ah ja. Also wenn bei uns Besprechung ist, dann kommt danach meistens was anderes. Eher so … ich weiß net wie mer sagen soll …«
    »Produktives«, half ihm Schiebenstein.
    Gommert lachte verlegen. »Ja, genau. Hat mir bloß gerade nicht einfallen wollen.«
    »Und der Hund?«, wechselte Schiebenstein das Thema.
    »Des ist der meinige. Ab und zu muss er sich emole ausruhen von dem vielen Stress da im Geschäftszimmer … ständig des Telefon … und beim Robert Funk drüben, da liegt er ganz gern am Sessel, des Hundle. Ich mein, des Ministerium ruft bei mir ja net grad an, aber seit mir nun des Präsidium da droben in Kempten haben mit den vielen Leuten, die wo die Verwaltung machen, da ist es nun so, dass man hier fast jemand bräuchte, der nur das Telefon macht«, Gommert lachte wie befreit, »ja wenn da auch noch das Ministerium selbst anrufen würde … Jesusmaria. Es ist ja so, dass die da drüben«, er wies mit dem Kopf zum gegenüberliegenden Gebäude der Polizeiinspektion, »dass die manchmal kaum noch einen Nachtdienst besetzen können, und in Kempten droben gibt’s in jedem Büro einen, der den Telefonhörer abnimmt, wenn’s klingelt, und einen, der spricht, und wieder einen, der auflegt.«
    Schiebenstein legte die Stirn in Falten, was Erich Gommert nur weiter anstachelte.
    »Ja, wenn ich’s doch sag. Bei uns ist doch gar keine Zeit mehr mit dem Bürger emole zu schwätzen wie sich’s gehört, nur weil keine Leute mehr im Streifendienst sind – und des beim höchsten Personalstand von der Polizei, gell – und da droben z’Kempta, da haben die sogar Sachbearbeiter für Sonnenauf- und Untergang, und für Voll- und Neumond«, Erich Gommerts Gesicht bekam einen schmerzverzerrten Ausdruck und sein Ton wurde jammernder, »ich darf gor net drandenken, was des alles koste tut …«
    Schiebenstein musste sich beherrschen, nicht zu nicken. Er äußerte sich nicht, denn das von Erich Gommert angeschnittene Thema war zu politisch. Und politisch,

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