Hexenstunde
muß daran glauben, daß man sein Erbgut verändern kann«, hatte er gesagt. »Man muß glauben, daß man die Zutaten verzaubern kann. Wenn man das nicht kann, ist es hoffnungslos.«
»Aber natürlich kann man es«, hatte sie geantwortet. »Du hast es doch getan, oder nicht? Ich möchte gern glauben, daß ich es auch getan habe. Es klingt vielleicht verrückt, aber ich finde, wir sollten…«
»Sag’s mir…«
»Wir sollten uns bemühen, vollkommen zu sein«, hatte sie leise gesagt. »Ich meine, warum nicht?«
Er zog an seiner Zigarette und überdachte das alles. Es wäre so herrlich, bei ihr zu bleiben. Wenn nur dieses Gefühl verschwinden wollte, daß er nach Hause fahren müsse.
»Leg noch ein Stück Holz aufs Feuer«, sagte sie und riß ihn aus seinen Gedanken. »Das Frühstück ist fertig.«
Sie schenkte ihnen beiden Kaffee und Orangensaft ein. Und fünf volle Minuten lang sagte er kein Wort, sondern aß. Noch nie war er so hungrig gewesen. Eine ganze Weile starrte er den Kaffee an. Nein, er wollte kein Bier, und er würde auch keins trinken. Er trank den Kaffee, und sie schenkte ihm nach.
»Das war einfach wundervoll«, sagte er.
»Bleib da«, sagte sie, »und ich koche dir Abendessen, und morgen früh gibt’s wieder Frühstück.«
Er konnte nichts antworten. Er betrachtete sie eine Zeitlang und bemühte sich, einmal nicht nur Liebreiz und Verlockung zu sehen, sondern ihr Aussehen ganz nüchtern zu betrachten. Eine echte Blondine, dachte er, mit vollkommen glatter Haut, fast ohne Flaum auf Gesicht oder Armen. Und wunderbare aschblonde Augenbrauen und dunkle Wimpern, die ihre Augen um so grauer erscheinen ließen. Eigentlich hatte sie ein Gesicht wie eine Nonne. Nicht einmal ein Hauch von Make-up, und ihr breiter, voller Mund hatte irgend wie etwas Jungfräuliches an sich, wie die Münder kleiner Mädchen, bevor sie anfangen, Lippenstift zu tragen. Er wünschte, er könnte hier ewig mit ihr sitzen…
»Aber du wirst trotzdem abfahren«, stellte sie fest.
Er nickte. »Ich muß.«
Sie war nachdenklich. »Was ist mit den Visionen?« fragte sie. »Möchtest du darüber sprechen?«
Er zögerte. »Jedesmal, wenn ich versuche, sie zu beschreiben, endet es in Frustration«, erklärte er. »Na ja, und außerdem nervt es die Leute.«
»Mich wird es nicht nerven«, versprach sie. Sie schien jetzt ganz gefaßt zu sein. Die Arme verschränkt, das Haar hübsch zerzaust, den dampfenden Kaffee vor sich, so saß sie da. Sie hatte wieder mehr Ähnlichkeit mit der resoluten, kraftvollen Frau, die er am Abend zuvor kennengelernt hatte.
Er lehnte sich zurück und starrte einen Augenblick lang aus dem Fenster. Alle Segelboote der Welt waren in der Bay unterwegs. Und er sah die Möwen über den Hafen von Sausalito fliegen – wie winzige Papierfetzen.
»Ich weiß, daß mein Todeserlebnis sehr lange dauerte«, begann er, »und daß Zeit andererseits keine Rolle spielt.« Er sah sie an. »Du weißt, was ich meine. Wie damals in den Märchen, wenn jemand von Elfen angelockt wurde. Dann zog er los und verbrachte einen Tag bei den Elfen, aber wenn er in sein Dorf zurück kam, waren fünfzig Jahre vergangen.«
Sie lachte leise. »Ist das eine irische Geschichte?«
»Ja, von einer alten irischen Nonne hab’ ich die gehört«, sagte er. »Sie hat uns die verfluchtesten Geschichten erzählt. Sie hat auch behauptet, es gäbe Hexen im Garden District von New Orleans, und die würden uns holen, wenn wir dort spazieren gingen…«
Sie wartete.
»Es kamen viele Leute in den Visionen vor«, fuhr er fort. »Aber am deutlichsten erinnere ich mich an eine dunkelhaarige Frau. Ich kann mir jetzt nicht mehr vorstellen, wie sie aussah, aber ich weiß, daß sie mir vertraut war wie jemand, den ich mein Leben lang gekannt habe. Ich kannte ihren Namen, wußte alles über sie. Und ich weiß jetzt, daß ich von dir wußte. Ich kannte deinen Namen. Aber ich weiß nicht, ob das vielleicht nur eine Ahnung war, kurz bevor ich von dir gerettet wurde.« Ja, das war wirklich rätselhaft, dachte er.
»Weiter.«
»Ich glaube, ich hätte zurück kommen und weiterleben können, selbst wenn ich mich geweigert hätte, zu tun, was sie von mir wollten. Aber ich wollte diese Mission sozusagen annehmen. Ich wollte den Auftrag erfüllen. Und es schien… es schien, daß alles, was sie von mir wollten, alles, was sie mir offenbarten, irgend wie mit meiner Vergangenheit zu tun hatte, mit dem, was ich gewesen war. Kannst du mir folgen?«
»Sie hatten
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