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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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daß ich nicht der erste Mann in diesem Hause bin. Ich meine, ich bin nicht das Licht deines Lebens, und ich…«
    »Hör auf. Ich könnte mich in dich verlieben, und das weißt du.«
    »Na, dann hör dir an, was ich zu sagen habe, denn es geht um dich und mich. Und vielleicht habe ich schon… na ja, ich… Ich meine, wenn du hinwillst, wenn du zurück fahren willst, um zu sehen, wo du zur Welt gekommen bist und wer deine Eltern waren… Ja, warum, zum Teufel, kommst du dann nicht einfach mit?« Seufzend schob er die Hände in die Hosentaschen. »Vermutlich wäre das ein schrecklich großer Schritt für dich, nicht? Und es ist die reine Selbstsucht von mir. Ich möchte einfach, daß du mitkommst. Ein netter Kerl, wahrhaftig.«
    Wieder starrte sie regungslos in die Ferne, den Mund fest zusammen gepreßt. Und er sah, daß sie wieder den Tränen nahe war. »Ich würde es gern tun«, sagte sie, und ihre Augen verschwammen.
    »Gott, Rowan, es tut mir leid. Ich hatte kein Recht zu dieser Frage.«
    Sie schaute weiter aufs Wasser hinaus, als könne sie vorläufig nur auf diese Weise die Fassung behalten. Aber sie weinte, und er sah die winzigen Bewegungen in ihrem Hals, als sie schluckte, sah die Anspannung in ihren Schultern. Der Gedanke durchzuckte ihn, daß sie so allein war wie niemand sonst, den er je gekannt hatte.
    »Rowan…«
    »Michael«, flüsterte sie. »Mir tut es leid, mir. Ich bin diejenige, die dir in die Arme gefallen ist. Jetzt hör auf, dir um mich Sorgen zu machen.«
    »Nein, sag das nicht.« Er wollte aufstehen, um sie wieder in den Arm zu nehmen, aber sie ließ es nicht zu. Sie langte über den Tisch nach seiner Hand und hielt sie fest.
    »Wovor hast du in Wirklichkeit Angst?« fragte er.
    Ihre Antwort war ein Flüstern, so leise, daß er es kaum verstehen konnte. »Daß ich böse bin, Michael, ein böser Mensch, ein Mensch, der wirklich Unheil anrichten kann. Ein Mensch mit einem furchtbaren Potential zum Unheil.«
    »Rowan, es war keine Sünde, daß du versucht hast, ein besserer Mensch als Ellie oder Graham zu sein. Und es ist keine Sünde, sie wegen deiner Einsamkeit zu hassen, dafür, daß sie dich isoliert von allen Blutsbanden aufgezogen haben, die du vielleicht hast.«
    »Das weiß ich alles, Michael.« Sie lächelte ein warmes, süßes Lächeln voller Dankbarkeit und stiller Einsicht, aber sie vertraute dem, was er gesagt hatte, nicht. Sie spürte, daß er es nicht vermocht hatte, etwas Entscheidendes über sie zu sagen, und er wußte es. Sie spürte, daß er gescheitert war, wie er am Abend zuvor an Deck des Bootes gescheitert war. Sie schaute auf das tiefblaue Wasser hinaus und sah ihn dann wieder an.
    »Rowan, ganz gleich, was in New Orleans passiert, wir werden uns wiedersehen, du und ich, und zwar bald. Ich könnte jetzt auf einen Stapel Bibeln schwören, daß ich zurück kommen werde, aber in Wahrheit glaube ich, daß ich es nicht tun werde. Als ich die Liberty Street verließ, wußte ich, daß ich dort nicht wieder wohnen würde. Aber wir werden uns irgendwo wiedersehen, Rowan. Und wenn du keinen Fuß nach New Orleans setzen kannst, dann such dir irgendeinen Ort aus und sag nur ein Wort: Ich werde kommen.«
     
    Sie wollte ihn zum Flughafen fahren, aber er bestand darauf, ein Taxi zu nehmen. Die Fahrt war zu weit, und sie war müde, das wußte er. Sie brauchte ihren Schlaf.
    Er duschte und rasierte sich. Jetzt hatte er seit fast zwölf Stunden nichts mehr getrunken. Erstaunlich.
    Als er herunterkam, saß sie mit gekreuzten Beinen auf der Kaminbank. Sie sah sehr hübsch aus in ihrer weißen Hose und einem dieser riesigen dicken Strickpullover, in denen sie fast ertrank und die sie schmalgliedrig und langbeinig und zierlich wie ein Reh aussehen ließen. Sie duftete schwach nach einem Parfüm, dessen Namen er einmal gekannt hatte und das er immer noch liebte.
    Er küßte sie auf die Wange und hielt sie dann lange im Arm. Achtzehn Jahre, vielleicht mehr, trennten ihn von ihr, und dieser Altersunterschied war ihm schmerzlich bewußt; er fühlte ihn, als er mit den Lippen über ihre feste, glatte Wange strich.
    Dann trat sie einen Schritt zurück, schob die Hände in die Taschen und schaute ihn mit leicht gesenktem Kopf an. »Betrinke dich nicht wieder, Michael«, sagte sie.
    »Jawohl, Doc.« Er lachte. »Ich könnte jetzt hier stehen und ein Gelübde ablegen, Honey, aber in dem Augenblick, in dem die Stewardeß mich fragend anblickt…«
    »Michael, trinke nicht im Flugzeug, und trinke

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