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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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alten Hexenkundigen, auf die Reise durch ganz Europa geschickt. Er hatte eben erst begonnen, mir seine wenigen kläglichen Mittel zu zeigen, mit denen er versuchte, die Hexen zu retten, indem er sie verteidigte, wo er konnte, und ihnen insgeheim eingab, als Komplizen ihre Ankläger sowie die Ehefrauen der vornehmsten Bürger der Stadt zu benennen, auf daß die ganze Untersuchung bald in Mißkredit gerate und die ursprüngliche Anklage verworfen werde.
    Es war, wie gesagt, in meinem achtzehnten Jahr und das erstemal, daß ich mich aus dem Mutterhause hervorwagte, seit ich dort meine Ausbildung begonnen hatte, und als Junius in Edinburgh erkrankte und starb, war ich mit meinem Latein am Ende. Wir waren zum Prozeß gegen eine schottische weise Frau unterwegs gewesen, die weithin für ihre Heilkräfte berühmt war; sie hatte aber ein Milchmädchen in ihrem Dorf verflucht und war daraufhin angezeigt worden, obgleich dem Mädchen nichts Böses widerfahren war.
    An seinem letzten Abend in dieser Welt trug Junius mir auf, die Reise ins Hochland ohne ihn fortzusetzen, und er schärfte mir ein, unbeirrbar an meiner Verkleidung als Schweizer Calvinist und Gelehrter festzuhalten. Ich war noch viel zu jung, um von irgend jemandem für einen Geistlichen gehalten zu werden, und deshalb hatte ich für die Dokumente, die Junius als solchen auswiesen, keine Verwendung; aber ich war in schlichter Protestantenkleidung als sein gelehrter Begleiter gereist, und so hielt ich es nun auch weiter.
    Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich fürchtete, Stefan.
    Und die Scheiterhaufen in Schottland versetzten mich in Angst und Schrecken. Die Schotten sind und waren, wie du weißt, ebenso wild und schrecklich wie die Franzosen und die Deutschen, und sie lernen, scheint’s, überhaupt nichts von den barmherzigeren und vernünftigeren Engländern. So groß war meine Angst auf dieser ersten Reise, daß nicht einmal die Schönheit des Hochlands ihren Zauber auf mich ausüben konnte.
    Wie soll ich hier je Beistand leisten, dachte ich mir, ohne Junius und seine Hilfe? Und als ich schließlich ins Dorf geritten kam, sah ich alsbald, daß ich zu spät gekommen war: Die Hexe war just an diesem Tag verbrannt worden, und eben waren die Karren dabei, die Reste des Scheiterhaufens fort zu schaffen.
    Wagen um Wagen füllte man mit Asche und verkohlten Resten von Holz und Knochen, und dann verließ eine Prozession den kleinen Ort, derweil die Bewohner mit ernster Miene Spalier standen, und bewegte sich hinaus ins grüne Land – und da gewahrte ich zum erstenmal Deborah Mayfair, die Tochter der Hexe.
    Mit gefesselten Händen und zerfetztem, schmutzigem Kleid hatte man sie auf einen Karren gestellt, auf daß sie mit ansehe, wie die Asche ihrer Mutter in alle Winde verstreut wurde.
    Stumm stand sie da, das schwarze Haar in der Mitte gescheitelt, so daß es in dichten Wellen zu beiden Seiten herabhing, und ihre blauen Augen waren trocken und ohne Tränen.
    »‘s ist das Zeichen der Hexe«, sagte ein altes Weib, das unter den Zuschauern stand, »daß sie nicht kann Tränen vergießen.«
    Ah, aber ich kannte das ausdruckslose Gesicht dieses Kindes, ich kannte den schlafwandlerischen Gang, die träge Gleichgültigkeit gegen alles, was sie sah, als die Asche abgekippt wurde und die Pferde hindurch traben mußten, um sie zu zerstreuen. Ich kannte das alles, weil ich mich selbst als Kind kannte, wie ich nach dem Tode meines Vaters als Waise durch die Straßen von Amsterdam gestreunt war; ich erinnerte mich, daß es mir, wenn Männer und Frauen mich anredeten, oft nicht in den Sinn kam, ihnen zu antworten oder mich statt dessen abzuwenden oder aus irgendeinem Grunde meine Haltung zu verändern. Selbst wenn man mich schlug oder schüttelte, ließ diese außergewöhnliche Gelassenheit nicht ab von mir.
    »Was soll mit ihr geschehen?« fragte ich das alte Weib.
    »Sie sollten sie auch verbrennen, aber das wagen sie nicht«, antwortete sie. »Sie ist so jung und außerdem eine Frohgezeugte, und niemand würde eine Frohgezeugte anrühren, denn wer weiß, wer der Vater möcht’ sein?« Und mit diesen Worten drehte das Weib sich um und schaute mit gewichtigem Blick hinüber zu einer Burg, die meilenweit jenseits des grünen Tales auf den hohen, kargen Felsen thronte.
    Du weißt, Stefan, gar manches Kind ist bei diesen Verfolgungen hingerichtet worden. Aber jedes Dorf ist anders. Und dies war Schottland. Und ich wußte nicht, was eine Frohgezeugte war und wer in der Burg

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