Hexenstunde
geben.«
Ich schwieg.
»Hier in der Gegend ist das alles bekannt«, fuhr er verschlagen blickend fort, »und morgen, wenn die Menge versammelt ist, braucht Ihr nur die Blicke der Leute zu verfolgen und festzustellen, auf wem sie ruhen, und Ihr werdet sehen, daß es die Comtesse de Chamillart aus Carcassone ist, die vor dem Gefängnis auf der Zuschauertribüne stehen wird. Wohlgemerkt – ich sage nicht, daß sie diejenige ist.«
Ich blieb stumm und versank immer tiefer in meiner Hoffnungslosigkeit.
»Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welche Macht der Teufel über diese Hexe hat«, sagte er.
»Ich bitte Euch, berichtet mir davon.«
»Selbst nach dem Streckbett, auf dem sie grausam gefoltert wurde, nachdem der spanische Stiefel ihr schon den Fuß zermalmt und glühende Eisen ihre Fußsohlen verbrannt hatten, gestand sie nicht, aber in der Folter schrie sie nach ihrer Mutter, und sie rief ›Roelant, Roelant‹ und hernach ›Petyr‹, was ohne Zweifel die Namen ihrer Teufel sind, denn niemand, den sie hier kennt, heißt so: Und sogleich versank sie durch die Kraft dieser Dämonen in Träume, daß man ihr nicht mehr den kleinsten Schmerz zufügen konnte.«
Ich konnte nicht länger zuhören!
»Kann ich sie sehen?« fragte ich. »Es ist sehr wichtig, daß ich das Weib mit eigenen Augen betrachte und ihr Fragen stelle, wenn ich darf.« Und ich zeigte ihm mein dickes Buch mit gelehrten Beobachtungen in Latein, die dieser alte Mann, wie ich annehmen möchte, kaum lesen konnte, und ich plapperte in einem fort von den Prozessen, welche ich zu Barmberg und im Hexenhause dort selbst miterlebt hätte, wo sie Hunderte gefoltert hätten, und noch manches andere, was diesen Pfaffen hinreichend beeindruckte.
»Ich bringe Euch zu ihr«, sagte er schließlich. »Aber ich warne Euch: Es ist höchst gefährlich. Wenn Ihr sie seht, werdet Ihr es verstehen.«
»Inwiefern?« wollte ich wissen, als er mich mit einer Kerze die Stiege hinunterführte.
»Nun, sie ist immer noch schön! So sehr liebt der Teufel sie. Darum nennt man sie die Braut des Teufels.«
Er wies mich nun zu einem Tunnel, der unter dem Schiff der Kathedrale hinführte und in dem die Römer in alter Zeit ihre Toten begraben hatten; durch diesen gelangten wir zum Kerker auf der anderen Seite. Eine Wendeltreppe führte uns hinauf in das oberste Stockwerk, und hier verwahrte man sie hinter einer Tür, die so dick war, daß die Kerkerwächter selbst sie kaum aufzubringen vermochten; der Priester hielt seine Kerze in die Höhe und deutete in den hintersten Winkel einer tiefen Zelle.
Kaum ein Schimmer drang durch das Gitterfenster; die Kerze gab mehr Licht. Und dort, auf dem Heuhaufen, erblickte ich sie, kahlköpfig und dünn und elend in einem zerfetzten Lumpen von grobem Tuch und doch rein und glänzend wie eine Lilie. Sie hatten ihr sogar die Augenbrauen abrasiert, indessen die vollkommene Form ihres nackten Kopfes ihren Augen und ihrer ganzen Haltung ein unirdisches Strahlen verlieh, während sie nun aufblickte und von einem zum anderen schaute, vorsichtig und mit leisem, gleichgültigem Kopfnicken.
Es war ein Gesicht, wie man es im Zentrum eines Heiligenscheins erwartet, Stefan. Und auch du hast es schon gesehen: in Öl auf Leinen gemalt.
Bevor du nun weiterliest, was ich geschrieben habe, verlasse deine Kammer, begib dich hinunter in die Haupthalle des Mutterhauses und betrachte das Porträt der dunkelhaarigen Frau von Rembrandt van Rijn, das gleich am Fuße der Treppe hängt. Das ist meine Deborah Mayfair, Stefan. Das ist die Frau, nun ohne ihr langes dunkles Haar, die, während ich dies niederschreibe, zitternd im Kerker auf der anderen Seite des Platzes kauert.
Ich sitze in meiner Kammer in der Herberge und habe sie erst vorhin verlassen. Ich habe reichlich Kerzen, wie ich schon sagte, zuviel Wein für mich allein und ein kleines Feuer, das mir die Kälte vertreibt. Ich sitze an meinem Tisch, dem Fenster gegenüber, und in unserem gewöhnlichen Code werde ich dir nun alles erzählen.
Denn es ist fünfundzwanzig Jahre her, daß ich dieser Frau begegnet bin; ich war damals ein junger Mann von achtzehn Jahren, und sie ein kleines Mädchen von zwölf.
Es war vor deiner Zeit bei der Talamasca, Stefan, und ich war sechs Jahre vorher als Waisenknabe dazu gekommen. Die Scheiterhaufen der Hexen brannten, so schien es, von einem Ende Europas bis zum anderen, und so hatte man mich schon früh von meinem Studium weggeholt und mit Junius Paulus Keppelmeister, unserem
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