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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Inquisitor hörte, wen sie alles kuriert hatte, verglich er sie mit den großen Zauberinnen der Sage und gar mit der Hexe von Endor selbst.«
    »Und wäre nur ein Salomon zugegen«, sagte ich, »der ihm zustimmen könnte.«
    Doch das hörten sie nicht.
    »Wenn es noch eine Hexe gab, so war es Charlotte«, berichtete der alte Weinhändler. »Einen solchen Anblick habt Ihr noch nicht gesehen wie ihre Neger, wenn sie sonntags mit ihr zur Messe kamen mit ihren feinen Perücken und Röcken aus Satin! Und die drei Mulattinnen für ihren kleinen Sohn. Und ihren Mann, groß und bleich und gebeugt wie ein Weidenbaum; er leidet ja an einer großen Schwäche, die ihn schon in seiner Kindheit befallen hat und von der ihn nicht einmal Charlottes Mutter kurieren konnte. Und – oh! – wenn man erlebt hat, wie Charlotte den Negern befahl, ihren Herrn durch das Dorf zu tragen, treppauf, treppab, und ihm seinen Wein ein zu schenken und ihm den Becher an die Lippen und das Mundtuch ans Kinn zu halten… An diesem Tische hier hat er gesessen, hager wie ein Heiliger an der Kirchenmauer, und rings um ihn herum die schwarzen, glänzenden Gesichter, und der größte und schwärzeste von allen – Reginald nannten sie ihn – las seinem Herrn mit dröhnender Stimme aus einem Buch vor. Und wenn man bedenkt, daß Charlotte unter solchen Menschen gelebt hat, seit sie achtzehn war – denn in diesem zarten Alter hat sie den Antoine Fontenay aus Martinique schon geheiratet.«
    »Bestimmt war es Charlotte, die die Puppe aus dem Schrank gestohlen hat, ehe der Priester sie in die Hand bekommen konnte«, meinte der Wirtssohn, »denn wer sonst in diesem entsetzten Haushalt hätte ein solches Ding anrühren mögen?«
    »Aber ihr habt gesagt, die Mutter konnte ihren Mann nicht heilen«, gab ich sanft zu bedenken. »Und ganz offensichtlich konnte Charlotte selbst es auch nicht. Vielleicht sind diese Frauen doch keine Hexen?«
    »Ah, aber Heilen und Heilen ist zweierlei«, antwortete der Weinhändler. »Hätten sie doch ihr Talent nur auf das Heilen verwandt! Aber was hatte die böse Puppe mit der Heilkunst zu tun?«
    »Und was ist mit Charlottes Flucht?« fragte ein anderer, der sich eben erst zu der Versammlung gesellt hatte und anscheinend mächtig aufgebracht war. »Was kann das anderes heißen, als daß sie beide zusammen Hexen waren? Denn kaum war die Mutter verhaftet, da flüchtete Charlotte mitsamt ihrem Gemahl und ihrem Kind und allen ihren Negern zurück nach Westindien, wo sie hergekommen waren. Aber zuvor war sie zu ihrer Mutter in den Kerker gegangen und hatte dort mehr als eine Stunde eingeschlossen mit ihr verbracht; die Wärter hatten ihr diese Bitte nur gewährt, weil sie töricht genug gewesen waren, zu glauben, Charlotte wolle ihre Mutter zu einem Geständnis bewegen, was sie freilich nicht vorhatte.«
    »Eine kluge Entscheidung schien es immerhin zu sein«, bemerkte ich. »Wohin hat Charlotte sich gewandt?«
    »Zurück nach Martinique, so heißt es, zusammen mit ihrem fahlhäutigen und krummknochigen Ehemann, der dort ein Vermögen in den Pflanzungen verdient haben soll – aber ob es stimmt, weiß niemand.«
    Mehr als eine halbe Stunde lauschte ich ihrem Geschnatter, derweil man mir den Prozeß schilderte, und wie Deborah ihre Unschuld beteuert habe, wie man sie in ihrer Kerkerzelle nackt ausgezogen, ihr das rabenschwarze Haar abgeschnitten und den Kopf kahlrasiert habe, um nach dem Mal des Teufels zu suchen.
    »Und haben sie’s gefunden?« fragte ich, innerlich bebend vor Abscheu über diese Vorgänge und bemüht, vor meinem geistigen Auge nicht das Mädchen erstehen zu lassen, das ich in der Vergangenheit gekannt hatte.
    »Ja, zwei Male hat man gefunden«, sagte der Wirt, der nun auch zu uns gekommen war und – auf meine Rechnung – eine dritte Flasche Weißwein mitgebracht hatte, aus der er nun allen einschenkte. »Sie behauptete, sie habe sie von Geburt an, und sie seien nicht anders als die, die auch zahllose andere am Körper hätten, und sie verlangte, daß man alle Bürger der Stadt auf solche Male untersuchen müsse, wenn damit irgend etwas bewiesen werden solle, doch niemand glaubte ihr.«
    »Und die Tochter«, fragte ich, »was sagte sie über die Schuld ihrer Mutter, ehe sie floh?«
    »Kein Wort. Zu niemandem. Und in finsterster Nacht schlich sie sich davon.«
    »Eine Hexe«, sagte der Wirtssohn. »Wie hätte sie es sonst übers Herz gebracht, ihre Mutter allein sterben zu lassen, nachdem sogar ihre Söhne sich gegen

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