Hexenstunde
dort oben wohnte oder ob das alles etwas zu bedeuten hatte.
Stumm sah ich zu, wie sie das Kind wieder auf den Karren hoben und mit ihr zum Dorf zurück fuhren. Ihr dunkles Haar flatterte im Wind, als die Pferde lostrabten. Sie wandte den Kopf nicht nach links oder rechts, sondern blickte starr geradeaus, während der Grobian neben ihr sie festhielt, damit sie nicht vom Wagen fiele, wenn die rohen Holzräder des Karrens durch die ausgefahrenen Gleise der Straße holperten.
Noch an Ort und Stelle faßte ich meinen Entschluß. Ich würde sie mitnehmen, wenn ich könnte – durch irgendeine List.
Ich folgte dem Karren mit dem Mädchen zum Dorf zurück; nur einmal sah ich, daß sie aus ihrer augenscheinlichen Benommenheit erwachte, nämlich als wir bei den alten Steinen vor dem Dorf vorüber kamen. (Es waren dies riesige, aufrecht im Kreis stehende Felsblöcke aus finsteren Zeiten vor aller Geschichte, über die du mehr weißt, als ich je wissen werde.) Diese Steine betrachtete sie mit großer, fast lauernder Neugier, wenn gleich nicht ersichtlich war, weshalb.
Denn da stand nur ein einzelner Mann, weit draußen im Feld, mitten im Kreis der Steine, der starr zu ihr herüberblickte, während das grelle Licht des offenen Tals hinter ihm strahlte – ein Mann in meinem Alter vielleicht, von großer und schlanker Gestalt, mit dunklem Haar. Aber ich konnte ihn kaum erkennen, denn der Horizont war so hell, daß er fast durchsichtig wirkte, und ich dachte mir, vielleicht sei es auch überhaupt kein Mann, sondern ein Geist.
Anscheinend trafen sich ihre Blicke, als der Karren des Mädchens vorüberrumpelte; aber nichts von all dem vermag ich mit Sicherheit zu sagen – nur eben, daß jemand oder etwas für einen Augenblick dort war.
Ich indes begab mich unverzüglich zum Pfarrer und zu der Kommission, die vom schottischen Staatsrat bestellt worden war und die sich noch nicht wieder aufgelöst hatte; sie saß zu jener Stunde zu Tische, wie es Brauch ist, und man hatte ein gutes Mahl aufgetragen, wobei die Kosten dafür aus dem Vermögen der toten Hexe bestritten wurden. Sie habe viel Gold in ihrer Hütte gehabt, sagte der Wirt mir, als ich eingetreten war, und mit diesem Gold hatte man den Prozeß bezahlt, die Folter, den Hexenzwicker, den Hexenrichter, der das Verfahren geführt hatte, das Holz und die Kohle für den Scheiterhaufen und sogar die Karren, die ihre Asche fortgeschafft hatten.
»Speist mit uns«, sagte der Bursche, als er mir dies alles kundgetan hatte, »denn die Hexe zahlt. Und es ist immer noch Gold da.«
Ich lehnte ab und wurde gottlob nicht um eine Erklärung bedrängt. Ich ging schnurstracks zu den Männern der Kommission und stellte mich als einen Studenten der Bibel und gottesfürchtigen Mann vor. Und ob ich das Kind der Hexe mit in die Schweiz nehmen dürfe, zu einem guten calvinistischen Geistlichen, der sie zu sich nehmen und erziehen würde, um eine gute Christin aus ihr zu machen und die Erinnerung an ihre Mutter aus ihrem Herzen zu löschen?
Ich redete viel zuviel. Bei diesen Leuten war wenig erforderlich. Ja, erforderlich war nur das Wort Schweiz. Denn sie wollten sie los werden, das bekannten sie frei heraus, und der Herzog wolle ebenfalls, daß sie sich ihrer entledigten, ohne sie indessen zu verbrennen, und sie sei eine Frohgezeugte, was im Dorfe große Furcht verbreite.
»Und was heißt das, wenn ich fragen darf?« sagte ich.
Da erklärten sie mir, daß die Menschen des Hochlands immer noch stark den alten Sitten anhingen, und so zündeten sie am Abend des l. Mai auf freiem Feld wohl auch große Freudenfeuer an, wo sie dann die ganze Nacht tanzten und froh und munter waren. Und bei solchem frohen Treiben habe die Mutter des Mädchens, Suzanne, die Schönste des Dorfes und Maienkönigin in jenem Jahr, das Kind Deborah empfangen.
Eine Frohgezeugte sei sie daher, und überall sehr beliebt, weil niemand wußte, wer ihr Vater war; es konnte aber jeder Mann im Dorfe gewesen sein, und sogar ein Mann von edlem Geblüt. Und in alten Zeiten – in den Zeiten der Heiden, die man am besten vergaß, obgleich diese Dörfler sie einfach nicht vergessen wollten – hatten die Frohgezeugten als Kinder der Götter gegolten.
»Nehmt sie gleich mit, Bruder«, sagten sie, »zu diesem guten Priester in die Schweiz, und der Herzog wird froh sein; aber bevor Ihr geht, müßt Ihr essen und trinken, denn die Hexe hat bezahlt, und es ist genug für alle da.«
Binnen einer Stunde ritt ich zum Dorfe hinaus, das
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