Hexenstunde
sie gewandt hatten?«
Inzwischen, Stefan, gelüstete es mich nur noch danach, aus dem Gasthaus zu entkommen und mit dem Gemeindepriester zu sprechen, wenngleich dies, wie du weißt, immer der gefährlichste Teil der Arbeit ist. Denn was, wenn der Inquisitor von da, wo er sitzen und das mit seinem Irrsinn verdiente Geld verschmausen und vertrinken mag, weggeholt wird und mich selbst und – Schrecken über Schrecken – auch mein Werk und meine Verkleidungen von anderswoher kennt? Unterdessen tranken meine neugewonnenen Freunde weiter meinen Wein und erzählten, daß die junge Comtesse von manchem berühmten Maler in Amsterdam gemalt worden sei, so groß sei ihre Schönheit; aber diesen Teil der Geschichte hätte ich ihnen auch selbst erzählen können, und so schwieg ich in schmerzlicher Sorge und bezahlte still noch eine Flasche Wein für die Gesellschaft, ehe ich mich zurückzog.
Es war ein warmer Abend, voller Reden und Gelächter allenthalben, wie es schien; die Fenster standen offen, und bei der Kathedrale war noch immer ein Kommen und Gehen. Manche lagerten an den Mauern, bereit für das Spektakel, und in dem hohen, vergitterten Fenster des Gefängnisses, dem Kirchturm gegenüber, wo die Frau eingekerkert saß, war kein Lichtlein zu sehen.
Ich stieg über die Leute, die da plaudernd im Dunkeln saßen, hinweg und begab mich zur Sakristei am anderen Ende des großen Bauwerks. Dort betätigte ich den Türklopfer, bis eine alte Frau mich einließ und ging, den Pastor der Kirche zu holen. Ein gebeugter, grauhaariger Mann erschien sogleich, um mich willkommen zu heißen: Zu seinem Bedauern habe er nicht gewußt, daß ein reisender Priester zu Besuch kommen wolle, und ich müsse sogleich vom Gasthof herüber ziehen und bei ihm wohnen.
Meine Entschuldigung indessen nahm er unverzüglich an, ebenso meine Ausrede mit dem Leiden meiner Hände, welches mich daran hindere, noch die Hl. Messe zu lesen, wofür mir auch Dispens erteilt sei, und all die anderen Lügen, die ich ihm aufzutischen hatte.
Eine glückliche Fügung wollte es, daß der Inquisitor standesgemäß Aufnahme bei der alten Comtesse im Château vor den Toren der Stadt gefunden hatte; und da all die hohen Herren des Ortes dorthin gegangen waren, um mit ihm zu speisen, würde er sein Gesicht an diesem Abend hier nicht mehr zeigen.
Darob war der Pastor offensichtlich gekränkt, wie schon durch die bisherigen Vorgänge – denn das ganze Verfahren war ihm aus der Hand genommen worden, von dem Hexenrichter und dem Hexenzwicker und all dem anderen klerikalen Gesindel, das bei einer Affäre wie dieser vom Himmel herabregnet.
»Aber kommt herein und setzt Euch eine Weile zu mir«, sagte der Priester, »und ich will Euch erzählen, was ich von ihr weiß.«
Unverzüglich stellte ich ihm meine wichtigsten Fragen, in der Hoffnung, daß die Bürger sich vielleicht geirrt hatten. Hatte es ein Beistandsersuchen an den zuständigen Bischof gegeben? Jawohl, und er hatte sie verdammt. Und an das Parlament in Paris? Jawohl, und dort hatte man es abgelehnt, ihren Fall zu verhandeln.
»Ist denn die Comtesse eine so furchtbare Hexe?« fragte ich.
»Es war weit und breit bekannt«, antwortete er flüsternd und unter mächtigem Heben der Brauen. »Nur hatte niemand den Mut, die Wahrheit auszusprechen. Und so sprach der sterbende Comte sie aus, um sein Gewissen zu erleichtern. Und als die alte Comtesse die Dämonologie des Inquisitors gelesen hatte, fand sie darin die richtige Beschreibung all der Merkwürdigkeiten, die sie und ihre Enkel schon immer beobachtet hatten.« Er tat einen tiefen Seufzer. »Und ich will Euch noch ein anderes, abscheuliches Geheimnis erzählen.« Wieder senkte er die Stimme zu einem Flüstern. »Der Comte hatte eine Mätresse, eine hohe und mächtige Dame, deren Name im Zusammenhang mit diesen Vorgängen nicht ausgesprochen werden darf. Wir wissen aber aus ihrem eigenen Munde, daß der Comte große Angst vor der Comtesse hatte und stets sorgsam darauf bedacht war, alle Gedanken an seine Mätresse aus seinem Kopf zu verbannen, wenn er in Anwesenheit seiner Gemahlin war, denn sie wußte solche Dinge in seinem Herzen zu lesen.«
»Ein Rat, den wohl mancher verheiratete Mann befolgen möchte«, bemerkte ich angewidert. »Was beweist das schon? Gar nichts.«
»Ah, aber seht Ihr es denn nicht? Das war der Grund, weshalb sie ihren Mann vergiftete, als er vom Pferd gefallen war, denn sie glaubte, wegen des Sturzes werde man nicht ihr die Schuld
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