Hexenstunde
den Zifferblättern zerbarst, die fein geleimten Kanten ihrer hölzernen Gehäuse sprangen auf, die Federn schnellten aus den Werken, die Uhren kippten von Kaminsims und Tisch, und die große Wanduhr fuhr krachend zu Boden.
Roemer war erschrocken, denn noch selten hatte er einen Geist von solcher Macht gesehen. Fast fühlten wir alle dieses Wesen in unserer Mitte, wie es unsere Gewänder streifte, als es an uns vorüberzog und gleichsam unsichtbare Tentakel ausstreckte, um den Befehlen der Hexe zu gehorchen.
»Fahrt zur Hölle, ihr Hexenmeister! Eure Hexe werde ich nicht sein!« schrie Deborah, und während die Bücher zu Boden polterten, floh sie zum zweiten Male vor uns; die Tür aber flog hinter ihr ins Schloß, und wir brachten sie nicht auf, so sehr wir uns auch bemühten.
Aber der Geist war fort. Wir hatten von diesem Wesen nichts mehr zu fürchten. Lange war es still, und dann ließ auch die Tür sich wieder öffnen, und wir gingen hinaus, nur um bestürzt zu entdecken, daß Deborah vor langer Zeit das Haus verlassen hatte.
Nun weißt du, Stefan, daß Amsterdam zu jener Zeit eine der ganz großen Städte Europas war; etwa einhundertfünfzigtausend Menschen lebten dort, vielleicht sogar mehr. Und in diese große Stadt war Deborah verschwunden. Alle unsere Erkundigungen in Bordellen und Tavernen blieben fruchtlos. Sogar zur Herzogin Anna, der reichsten Hure von Amsterdam, gingen wir, denn ein schönes Mädchen wie Deborah würde bei ihr mit Sicherheit Zuflucht finden; doch wenngleich die Herzogin wie stets froh war, uns zu sehen und mit uns zu sprechen, und uns auch guten Wein kredenzte, so wußte sie doch nichts von diesem geheimnisvollen Kind.
Zwei Wochen später war es, daß ein junger Rembrandt-Schüler, der kürzlich aus Utrecht gekommen war, mich aufsuchte und mir sagte, das Mädchen, das ich gesucht hätte, lebe jetzt bei dem alten Porträtmaler Roelant, einem Manne, der nur unter diesem Namen bekannt war; er hatte in seiner Jugend viele Jahre in Italien studiert, und noch immer strömten die Menschen scharenweise zu ihm, um seine Arbeiten zu sehen, obgleich er über die Maßen krank und gebrechlich war und kaum für seine Schulden aufkommen konnte.
Unverzüglich begab ich mich zu diesem Roelant. Er war mir bekannt und war immer freundlich zu mir gewesen, doch jetzt schlug er mir die Tür vor der Nase zu. Er habe keine Zeit für Besuche von uns »wahnsinnigen Gelehrten«, wie er uns nannte, und warnte mich hitzig, daß seltsame Leute wie wir sogar in Amsterdam die Vertreibung zu gewärtigen hätten.
Roemer meinte, ich solle die Sache für eine Weile auf sich beruhen lassen; wir überleben, wie du weißt, Stefan, weil wir Aufsehen vermeiden, und so wahrten wir Zurückhaltung. Aber in den nächsten Tagen sahen wir, daß Roelant alle seine Schulden bezahlte – und es waren viele – und daß er und seine Kinder von der ersten Frau sich jetzt in feine Kleider hüllten, die von beträchtlichem Reichtum zeugten.
Man erzählte sich, daß Deborah, ein schottisches Mädchen von großer Schönheit, das er zu sich genommen habe, damit sie seine Kinder versorge, eine Salbe für seine verkrüppelten Finger bereitet habe, die sie gleichsam gewärmt und gelöst habe, so daß er nun den Pinsel wieder halten könne. Er werde gut bezahlt für seine neuen Porträts, hieß es – aber er hätte jeden Tag drei oder vier Stück malen müssen, Stefan, um so viel Geld zu verdienen, daß er die Möbel und Kleider hätte bezahlen können, die jetzt in sein Haus geliefert wurden.
Die Schottin war also reich, wie man bald erfuhr – ein Kind der Liebe, Tochter eines reichen Edelmanns jenes Landes, der sie zwar nicht anerkennen konnte, ihr aber reichlich Geld schickte, welches sie mit Roelant teilte, weil der so gütig gewesen war, sie aufzunehmen.
Wer mochte das sein, dieser Edelmann? Das fragte ich mich. Der Aristokrat aus jener wuchtig brütenden schottischen Feste, die wie ein Haufen natürlicher Felsbrocken finster über das Tal hinausstarrte, aus dem ich sie fortgebracht hatte, diese »Frohgezeugte«, barfuß und verdreckt und von der Peitsche bis auf die Knochen geschunden, unfähig, allein zu essen? Oh, was für ein hübsches Märchen!
Aber im Hause Roelant war alles zufrieden, und der Alte heiratete das junge Mädchen, noch ehe das Jahr zur Neige ging. Zwei Monate vor dieser Hochzeit hatte Rembrandt, der Meister, sie bereits gemalt, und einen Monat nach der Hochzeit wurde das Porträt in Roelants Salon für
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