Hexenstunde
Wangen erglühten, und sie war wie eine Frau – innerlich hart und kalt und verbittert von all dem Grauen, das sie gesehen hatte. Wo war das Kind in ihr? dachte ich voller Panik, und da fuhr sie herum und funkelte mich an, ehe sie sich wieder Roemer zuwandte, und dieser war so eingeschüchtert, wie ich es bei ihm nur jemals erlebt habe. Aber er bemühte sich rasch, es zu überwinden, und sprach weiter.
»Wir sind ein gelehrter Orden, und unser Ziel ist es, diejenigen zu studieren, die einzigartige Kräfte besitzen, Kräfte, wie deine Mutter sie hatte und von denen man fälschlich sagte, sie käme vom Teufel – Kräfte auch, über die du selbst vielleicht verfügst. Ist es nicht wahr, daß deine Mutter heilen konnte? Kind, solche Macht kommt nicht vom Teufel. Siehst du die Bücher ringsumher? Sie sind voll von Geschichten über solche Menschen; man nennt sie hier Zauberer und dort Hexen, aber was hat der Teufel mit diesen Dingen zu schaffen? Wenn du solche Kräfte hast, so setze dein Vertrauen in uns, damit wir dich lehren können, was du damit tun kannst und was nicht.«
Ich sah noch immer den Ausdruck des Hasses in ihrem Gesicht, und Roemer wisperte: »Sie liest unsere Gedanken, Petyr, und ihre eigenen kann sie vor uns verbergen.«
Darüber erschrak sie. Aber sie sagte nichts.
»Kind«, sagte Roemer, »was du mitangesehen hast, war schrecklich, aber bestimmt hast du nicht geglaubt, was man deiner Mutter vorwarf. Sag uns bitte, mit wem du gesprochen hast in jener Nacht in der Herberge, da Petyr dich hörte? Wenn du Geister sehen kannst, erzähle uns davon. Es wird dir nichts geschehen.«
Keine Antwort.
»Kind, ich will dir meine eigenen Kräfte zeigen. Sie kommen nicht vom Satan, und ich brauche ihn nicht zu beschwören, wenn ich sie benutzen will. Kind, ich glaube nicht an den Satan. Doch nun sieh auf die Uhren ringsumher – die große Wanduhr dort, die Pendeluhr zu deiner Linken, die Uhr auf dem Sims und die dort hinten auf dem Schreibpult.«
Sie schaute alle Uhren nacheinander an, und ihr Gesicht war voller Erstaunen, denn Roemer ließ die Uhren, ohne auch nur etwas von seinem materiellen Selbst in Bewegung zu bringen, allesamt jählings stehen bleiben. Das endlose Ticken im Zimmer war verstummt, und machtvolle Stille war eingetreten, stark genug in ihrer Leere, um selbst die Geräusche vom Kanal vor dem Haus zu dämpfen. »Kind, hab Vertrauen zu uns, denn wir teilen diese Kräfte mit dir«, sagte Roemer. Er deutete auf mich und sagte, ich solle die Uhren durch die Kraft meines Geistes wieder in Gang setzen. Ich schloß die Augen und befahl den Uhren: »Geht.« Die Uhren gehorchten, und wieder erfüllte das Ticken den Raum.
Deborahs Miene wandelte sich; sie zeigte nicht mehr kalten Argwohn, sondern jähe Verachtung, als ihr Blick zwischen mir und Roemer hin und her ging. Sie sprang auf und wich rückwärts bis zu den Büchern zurück; dabei fixierte sie Roemer und mich bösartig.
»Ah, Hexen!« rief sie. »Warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt? Ihr seid Hexen und Zauberer alle miteinander! Ihr seid ein Orden des Satans.« Tränen strömten ihr übers Gesicht, und sie schluchzte: »Es ist wahr, wahr, wahr!«
»Nein, Kind«, rief Roemer, »wir wissen nichts vom Teufel! Wir wollen nur verstehen, was andere verurteilen.«
»Deborah«, bat ich, »vergiß die Lügen, die sie dich gelehrt haben. Kein Mensch in Amsterdam würde dich verbrennen! Denke doch an deine Mutter. Wie sprach sie denn über das, was sie tat, ehe sie sie folterten und zwangen, ihnen nach dem Munde zu reden?«
Ach, es waren die falschen Worte! Ich konnte es nicht wissen, Stefan. Ich konnte es nicht wissen. Doch als ihr Gesicht vor Entsetzen starr wurde, als sie sich die Ohren zuhielt, da erkannte ich meinen Irrtum. Ihre Mutter hatte sich selbst für böse gehalten!
Und dann kamen immer neue Schmähungen aus Deborahs Mund. »Böse seid ihr, was? Zauberer seid ihr, was? Uhrenanhalter! Schön, aber ich werde euch zeigen, was der Teufel vermag in den Händen dieser Hexe!«
Und sie trat in die Mitte des Zimmers, schaute hinaus und, wie es schien, hinauf in den blauen Himmel und rief:
»Komm her, mein Lasher, und zeige diesen erbärmlichen Zauberern die Macht einer großen Hexe und ihres Teufels. Zerbrich die Uhren ein für allemal!«
Und sogleich erschien ein gewaltiger dunkler Schatten im Fenster, als habe der Geist, den sie gerufen hatte, sich zusammengezogen, um bei uns im Zimmer klein und stark zu werden.
Das dünne Glas vor
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