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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hübschen, baumgesäumten Grachten, die hübschen Boote und die prächtigen, vier- und fünfstöckigen Häuser.
    Und als wir zu unserem Mutterhaus am Ufer der Gracht kamen, und als sie sah, daß dies »mein Heim« war und das ihre werden sollte, da konnte sie ihr Staunen nicht mehr verbergen. Denn was hatte dieses Kind schon von der Welt gesehen außer einem erbärmlichen Schafbauerndorf und den schmutzigen Gasthäusern, in denen wir abgestiegen waren; man kann sich also leicht vorstellen, wie es erging, als sie ein richtiges Bett zu sehen bekam, in einem sauberen holländischen Schlafzimmer. Sie sagte kein einziges Wort, aber der Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen sprach Bände.
    Ich ging unverzüglich zu meinen Oberen, zu Roemer Franz und Petrus Lancaster, die du beide in liebevoller Erinnerung hast, und gestand ihnen, was ich getan hatte.
    Ich brach in Tränen aus, als ich erzählte, daß das Kind mutterseelenallein gewesen sei und daß ich es deshalb mitgenommen hätte; ich hätte keine andere Entschuldigung für ein so kostspieliges Unternehmen als die, daß ich es nun einmal getan hätte. Zu meinem Erstaunen vergaben sie mir, aber sie lachten auch, denn sie kannten meine innersten Geheimnisse.
    Und Roemer sagte: »Petyr, du hast auf dem Weg von Schottland hierher soviel Buße getan, daß du jedenfalls eine Erhöhung deines Handgeldes verdient hast, und vielleicht auch ein besseres Zimmer hier im Hause.«
    Und weiteres Gelächter folgte auf diese Worte. Ich mußte selbst lächeln, denn ich war sogar in diesem Augenblick ganz trunken beim Gedanken an Deborahs Schönheit, doch schon bald verließ mich der gute Mut wieder, und ich litt neuerliche Pein.
    Deborah beantwortete keine Frage, die ich ihr stellte. Aber als Roemers Frau, die ihr Leben lang bei uns wohnte, zu ihr ging und ihr Nadel und Stickrahmen in die Hand drückte, da begann Deborah mit einigem Geschick mit der Handarbeit.
    Zum Ende der Woche hatten Roemers Frau und andere ihr durch Beispiele gezeigt, wie man Spitze machte; Stunde um Stunde arbeitete sie hart und antwortete auf nichts, was man ihr sagte. Sie starrte die Menschen, die sie umgaben, stumm an, wenn sie aufblickte, und wandte sich dann wortlos wieder ihrer Arbeit zu.
    Gegen die weiblichen Ordensmitglieder, die nicht Ehefrauen, sondern Gelehrte waren und selbst über gewisse Talente verfügten, hegte sie eine unübersehbare Abneigung. Mit mir sprach sie nicht, aber sie hatte aufgehört, mir haßerfüllte Blicke zuzuwerfen, und als ich sie einlud, mit mir spazieren zu gehen, willigte sie ein und war bald geblendet vom Getriebe der Stadt. Sie ließ sich von mir sogar zu einem Glas in der Schenke einladen, obgleich der Anblick achtbarer Frauen, die dort aßen und tranken, sie offenbar in Erstaunen versetzte, wie er es auch bei anderen Ausländern tut, die viel weiter gereist sind als sie.
    Die ganze Zeit beschrieb ich ihr unsere Stadt; ich erzählte von ihrer Geschichte und ihrer Toleranz, berichtete, wie sich die Juden vor der Verfolgung aus Spanien hierher geflüchtet hatten, wie selbst Katholiken hier in Frieden unter den Protestanten lebten, und daß hier niemand mehr für so etwas wie Hexerei hingerichtet werde. Ich ging mit ihr zu den Druckern und Buchhändlern. Auch machten wir einen kurzen Besuch im Hause Rembrandt van Rijns, denn er war stets ein angenehmer Gastgeber, und immer waren auch Schüler zugegen. So tranken wir ein Glas Wein mit den jungen Malern, die dort beisammen waren, um bei dem Meister zu studieren. Und hier war es, daß Rembrandt Deborah zum erstenmal zu Gesicht bekam, ehe er sie später sogar malte.
    Sie blieb beharrlich stumm, aber ich sah doch, daß die Maler ihr Entzücken erregten; vor allem die Porträts Rembrandts fesselten sie, wie aber auch dieser gütige und liebenswürdige Mann selbst es tat. Wir gingen noch in andere Werkstätten, sprachen mit anderen Künstlern – zum Beispiel mit Emmanuel de Witte und vielen weiteren, die damals in unserer Stadt malten, Freunden von uns, wie sie es heute noch sind. Und sie schien sich dafür zu erwärmen, gewissermaßen zum Leben zu erwachen, und ihr Antlitz nahm bisweilen einen ganz sanften, süßen Ausdruck an.
    Aber erst als wir an den Läden der Juweliere vorüberkamen, geschah es, daß sie mich mit einer leichten Berührung ihrer weißen Finger an meinem Arm innezuhalten bat. Diese weißen Finger. Ich schreibe dies auf, weil ich mich so gut daran erinnere – an ihre zarte Hand, schimmernd wie die Hand einer

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