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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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geliebt«, sagte ich zu ihr. Und ich sagte noch andere Dinge, viele Dinge, törichte und zärtliche, die ich hier nicht niederschreiben werde. All das ertrug sie mit vollkommener Resignation; sie wußte, was mir erst jetzt aufgegangen war: daß ich es bereute, nicht mit ihr fortgegangen zu sein, daß ich mich verachtete, mich selbst, meine Arbeit, mein ganzes Leben.
    Ich konnte sie nicht verlassen, ohne sie zu umarmen und zu küssen. »Es ist so schön, dich im Arm zu halten«, flüsterte sie. Dann schob sie mich von sich. »Geh jetzt und denke an alles, was ich dir gesagt habe.«
    Ich verließ sie wie in einem Wahn. Der Platz füllte sich noch immer mit Menschen, die gekommen waren, um die Hinrichtung mit zu erleben. Im Fackelschein stellten manche ihre Stände auf; andere schliefen unter Wolldecken längs der Mauern.
    Ich sagte dem alten Priester, ich sei ganz und gar nicht davon überzeugt, daß die Frau eine Hexe sei, und ich wolle unverzüglich den Inquisitor sprechen. Ich sage dir, Stefan, ich war entschlossen, Himmel und Hölle für sie in Bewegung zu setzen.
    Aber wie du sehen wirst, war alles vergebens.
    Wir kamen zum Château, und man ließ uns ein; dieser Tor von einem Pfaffen war froh, jemand Gewichtiges bei sich zu haben, um sich so auf das Bankett zu stürzen, zu dem er nicht geladen war. Ich selbst raffte mich jetzt auf und zeigte mich von meiner eindrucksvollsten Seite, indem ich den Inquisitor unmittelbar auf lateinisch befragte und ebenso die alte Comtesse, eine dunkelhäutige Frau von spanisch anmutender Erscheinung, die mich mit außergewöhnlicher Geduld empfing, wenn man die Manieren bedenkt, mit denen ich mich eingeführt hatte.
    Der Inquisitor, Pater Louvier, stattlich und sehr wohlgenährt, mit elegant gestutztem Bart und Haar und funkelnden schwarzen Augen, sah überhaupt nichts Verdächtiges in meinem Auftreten und zeigte sich so unterwürfig, als käme ich geradewegs aus dem Vatikan – und wußte er, ob’s nicht gerade so war? Jedenfalls versuchte er, mich zu beruhigen, als ich erklärte, daß hier vielleicht ein unschuldiges Weib verbrannt werden würde.
    »Eine solche Hexe habt Ihr noch nicht gesehen«, widersprach die Comtesse; ihr Lachen klang häßlich und kehlig, als sie mir Wein anbot. Sodann machte sie mich mit der Comtesse de Chamillart bekannt, die neben ihr saß, und mit allen anderen Adeligen aus der Umgebung, die hier im Château nächtigten, um die Hexe brennen zu sehen.
    Jede Frage, die ich stellte, jeder Einwand, den ich erhob, jeder Vorschlag, den ich unterbreitete, wurde von dieser Versammlung mit der gleichen gelassenen Überzeugung aufgenommen. Für sie war die Schlacht geschlagen und gewonnen. Was noch blieb, war die Feier, die morgen stattfinden würde.
    »Aber die Frau hat nicht gestanden«, erklärte ich. »Und ihr Gemahl ist nach eigenem Eingeständnis im Wald vom Pferd gefallen. Man kann doch kein Urteil auf die Aussage eines fiebernden Sterbenden gründen!«
    Ebenso gut hätte ich sie mit trockenem Laub bewerfen können; die Wirkung wäre die gleiche gewesen.
    »Ich habe meinen Sohn mehr als alles andere auf der Welt geliebt«, sagte die alte Comtesse mit harten, schwarzen Äuglein und häßlichem Mund. Und als habe sie sich eines anderen Tonfalls besonnen, fügte sie mit unübertrefflicher Heuchelei hinzu: »Arme Deborah – habe ich jemals gesagt, daß ich Deborah nicht liebe, daß ich Deborah nicht tausend Dinge verzeihe?«
    »Ihr sagt zuviel!« befand Louvier salbungsvoll und mit übertriebener Gebärde, denn er war betrunken, dieses Ungeheuer.
    »Ich spreche nicht von Hexerei«, fuhr die alte Frau unbeeindruckt fort. »Ich spreche von meiner Schwiegertochter mit all ihren Schwächen und Geheimnissen; denn wer wüßte nicht hier in der Stadt, daß Charlotte zu bald nach der Hochzeit geboren wurde? Doch mein Sohn hatte nur Augen für den Zauber dieser Frau, er betete Charlotte an, er war Deborah dankbar für ihre Mitgift und überhaupt ein großer Narr in jeder Hinsicht…«
    »Müssen wir davon sprechen!« flüsterte die Comtesse de Chamillart, die unübersehbar zitterte. »Charlotte ist aus unserer Mitte verschwunden.«
    »Man wird sie finden und verbrennen wie ihre Mutter«, erklärte Louvier, und ringsum wurde zustimmend genickt.
    Und dann unterhielten sie sich unter einander darüber, wie zufrieden sie alle nach der Hinrichtung sein würden, und als ich sie weiter befragen wollte, winkten sie mir nur, ruhig zu sein und zu trinken: Ich solle mir keine

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