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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Roemer sagen, was ich getan hatte. Ich wollte zum Mutterhaus zurück, denn tatsächlich war es Mutter und Vater für mich, und ich hatte keine andere Wahl.
    Lebwohl, mein kleiner Priester, sagte sie zu mir. Lebwohl, und möge die Talamasca dir lohnen, was du mit mir auf gegeben hast. Tränen vergoß sie; ich aber küßte hungrig ihre Handflächen, ehe ich sie verließ, und vergrub noch einmal das Gesicht in ihrem Haar. »Geh jetzt, Petyr«, sagte sie schließlich. »Und vergiß mich nicht.«
    Vielleicht ein oder zwei Tage vergingen, und dann erfuhr ich, daß sie fort war. Ich war verzweifelt. Weinend lag ich da und versuchte, auf Roemer und auf Geertruid zu hören, aber ich konnte es nicht. Aber sie zürnten mir nicht, wie ich es erwartet hatte; soviel wußte ich jedenfalls.
    Und Roemer war es, der zu Judith de Wilde ging und Deborahs Porträt von Rembrandt van Rijn erwarb, das bis zum heutigen Tage in unserem Hause hängt.
    Ein ganzes Jahr verging, bevor ich an Leib und Seele wirklich genesen war. Und nie wieder habe ich danach gegen die Regeln der Talamasca verstoßen, wie ich es in jenen Tagen getan hatte. Ich zog wieder hinaus, durch die deutschen Staaten, durch Frankreich und sogar nach Schottland, um meine Arbeit zu tun und die Hexen zu retten und um über sie und ihre Leiden zu schreiben, wie wir es immer getan haben.
    Nun kennst du also Deborahs Geschichte, wie sie sich zugetragen hat. Nun weißt du, mit welchem Schrecken ich so viele Jahre später in dieser Festungsstadt in den Cevennen im Languedoc auf die Tragödie der Comtesse de Montcleve stieß und entdeckte, daß sie Deborah Mayfair war, die Tochter der schottischen Hexe.
    Jetzt siehst du, mit wieviel Angst und Elend im Herzen ich die Kerkerzelle betrat und wie ich in meiner Hast erst im letzten Augenblick daran denken konnte, daß die Frau, die da in Lumpen auf dem Stroh kauerte, aufblicken, mich erkennen und meinen Namen rufen und damit in ihrer Verzweiflung meine Tarnung zunichte machen könnte.
    Aber das geschah nicht.
    Als ich in die Zelle trat und den Saum meiner schwarzen Soutane lüpfte, um aus zusehen wie ein Pfaffe, der sich nicht mit diesem Schmutz besudeln wollte, und als ich dann auf sie hinunterblickte, da lag kein Erkennen in ihrer Miene.
    Aber daß sie mir fest ins Gesicht sah, beunruhigte mich gleichwohl, und sofort erklärte ich dem alten Trottel von Gemeindepfarrer, ich müsse allein mit ihr sprechen. Es widerstrebte ihm, mich mit ihr allein zulassen, aber ich sagte, ich hätte schon viele Hexen gesehen, und sie schrecke mich nicht im geringsten; ich hätte ihr aber zahlreiche Fragen zu stellen, und wenn er mich im Pfarrhaus erwarten könne, so wolle ich schon bald zurück sein. Dann nahm ich ein paar Goldmünzen aus der Tasche und sagte: »Nehmt dies für Eure Kirche, denn ich weiß, ich habe Euch viel Mühe gemacht.« Damit war die Sache besiegelt. Der Schwachkopf ging.
    Sofort wurde die Tür geschlossen; zwar hörte ich draußen auf dem Gang manches Getuschel, aber wir waren allein. Ich stellte die Kerze auf das einzige Möbelstück in der Zelle, eine Holzbank, und während ich mich noch mühte, die Tränen niederzukämpfen, die mir bei ihrem Anblick in die Augen stiegen, hörte ich ihre Stimme, als sie leise, beinahe flüsternd, sagte:
    »Petyr, kannst du es denn wirklich sein?«
    »Ja, Deborah«, sagte ich.
    »Ah, aber du bist nicht gekommen, um mich zu retten, wie?« fragte sie müde.
    Schon der Klang ihrer Stimme traf mich ins Herz; es war dieselbe Stimme, die in jener letzten Nacht in ihrem Schlafgemach in Amsterdam zu mir gesprochen hatte. Sie klang nur um einen winzigen Bruchteil tiefer, und vielleicht lag auch eine dunkle Musik darin, die vom Leiden kommt.
    »Ich kann es nicht, Deborah. Ich werde es versuchen, aber ich weiß schon, daß es nicht gelingen wird.«
    Das überraschte sie nicht. Dennoch lächelte sie mich an.
    Ich nahm die Kerze wieder in die Hand, näherte mich ihr und kniete im Stroh nieder, um ihr in die Augen zu sehen. Ich sah die Augen, an die ich mich erinnerte, dieselben Wangen, als sie lächelte – und es war, als sei diese schmächtige, wächserne Gestalt meine Deborah, doch schon verwandelt in einen Geist und unberührt in ihrer Schönheit.
    Sie machte keine Anstalten, sich mir zu nähern, sondern betrachtete mein Gesicht, wie man wohl ein Gemälde betrachtet. In einem Schwall von kraftlosen und jämmerlichen Worten erzählte ich ihr dann, daß ich von ihrem Elend nichts gewußt hätte, sondern in

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