Hexenstunde
hatte der Knabe jedenfalls von seiner Mutter wie von seinem Vater geerbt, denn er besaß mehr davon als irgendein Kind, das ich je gesehen hatte.
Endlich erlaubte man den Mulattenmädchen, beide ebenfalls sehr hübsch, sich auf den Knaben zu stürzen und ihn vor der großen weiten Welt zu retten, und sie trugen ihn davon.
Auch Antoine verabschiedete sich jetzt von mir; er bat mich, in Maye Faire zu bleiben, solange es mir gefiele. Ich nahm noch ein Glas Wein, aber ich war entschlossen, daß dies mein letztes sein sollte, denn mir war schon schwindlig.
Unversehens führte die schöne Charlotte mich im nächsten Augenblick auf die dunkle Galerie hinaus; von hier aus hatte man einen Blick über den vorderen Garten mit seinen melancholischen Laternen. Wir beide waren ganz allein, als wir uns nun auf einer Holzbank niederließen.
In meinem Kopf kreiste heftig der Wein, obgleich ich nicht recht hätte sagen können, wie es mir gelungen war, so viel zu trinken; als ich aber bat, es nun genug sein lassen zu dürfen, wollte Charlotte davon nichts hören und bestand darauf, daß ich noch ein Glas trank. »Es ist mein bester – von daheim mitgebracht.«
Aus Höflichkeit trank ich, und ich fühlte den Rausch wie eine Woge über mich hinwegziehen. Verschwommen erinnerte ich mich an den Anblick der betrunkenen Brüder, und um einen klaren Kopf zu bekommen, stand ich auf, umfaßte das Holzgeländer und schaute hinunter in den Garten. Es schien, als sei die Nacht voll von dunklen Gestalten, Sklaven vielleicht, die sich zwischen den Büschen umherbewegten, und eine sehr ansehnliche hellhäutige Person sah ich auch, die im Vorübergehen zu mir herauflächelte. Wie im Traum, so schien es, hörte ich Charlotte zu mir sprechen.
»Nun denn, hübscher Petyr, was möchten Sie mir noch sagen?«
Seltsame Reden, dachte ich, zwischen Tochter und Vater, denn sicher wußte sie es, sie mußte es ja wissen. Doch wiederum: Vielleicht wußte sie es nicht. So wandte ich mich ihr zu und begann mit meiner warnenden Rede. Ob sie denn nicht wisse, daß dieser Geist kein gewöhnlicher Geist sei? Daß dieses Ding, das vom Körper des Alten Besitz ergriffen habe und ihn auf ihr Geheiß hin bewegen könne, sich auch gegen sie wenden könnte, daß es ja seine Kraft überhaupt erst von ihr beziehe, und daß sie danach trachten müsse, zu verstehen, was Geister eigentlich seien – doch sie hieß mich stillschweigen.
Und dann war mir, als sähe ich die bizarrsten Dinge durch das Fenster des erleuchteten Speiseraums; es war, als tanzten die Sklavenjungen in ihren glänzenden blauen Satinanzügen beim Putzen und Fegen im Raum umher, tanzten wie die Kobolde.
»Was für eine wunderliche Illusion«, sagte ich, und ich erkannte, daß die Knaben, die jetzt die Stuhlpolster abwischten und die herabgefallenen Servietten aufhoben, umhertollten und spielten und nicht wußten, daß ich sie beobachtete.
Als ich mich wieder Charlotte zuwandte, gewahrte ich, daß sie ihr Haar jetzt offen über die Schultern fließen ließ und mich mit kalten, schönen Augen anstarrte. Mir schien überdies, als habe sie den Ausschnitt ihres Kleides über die Schultern herabgeschoben, wie eine Schenkendirne es tun mochte, um ihre herrlichen weißen Arme und den Ansatz ihrer Brüste desto besser zur Schau zu stellen. Daß ein Vater seine Tochter anstarrte, wie ich sie anstarrte, war reine Sünde.
»Ah, Sie glauben, Sie wissen so viel«, sagte sie und meinte damit offensichtlich unser Gespräch, das ich in meiner allgemeinen Verwirrung völlig vergessen hatte. »Aber Sie sind wie ein Priester, hat meine Mutter mir erzählt. Sie kennen nichts als Regeln und Ideale. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Geister böse sind?«
»Das ist ein Mißverständnis. Ich habe nicht böse gesagt, ich habe gesagt, gefährlich. Ich sage nicht teuflisch. Ich sage unbekannt.«
Wieder sah ich die Knaben tanzen. Sie wirbelten im Zimmer herum, hüpften, drehten sich, erschienen an den Fenstern, tauchten hier und dort auf. Ich blinzelte, um einen klaren Blick zu bekommen.
»Und wie kommen Sie darauf, daß ich mit diesem Geist nicht sehr vertraut und bekannt bin«, sagte sie, »und daß ich ihn nicht beherrschen kann? Sehen Sie nicht, daß es Fortschritte gegeben hat – von Suzanne zu Deborah und von ihr zu mir?«
»Das sehe ich – doch, das sehe ich. Ich habe den alten Mann gesehen, nicht wahr?« sagte ich, aber der Gedanke entglitt mir. Ich brachte meine Worte nicht in die richtige Gestalt. Und die
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