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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Erinnerung an den alten Mann brachte meine Logik durcheinander. Ich wollte Wein und wollte keinen. Nein, ich würde nichts mehr trinken.
    »Ja«, sagte sie, schneller als mein Verstand, wie mir schien, und nahm mir gottlob das Weinglas ab. »Meine Mutter wußte nicht, daß man Lasher in einen Menschen schicken kann, obgleich jeder Priester ihr hätte erzählen können, daß Dämonen dauernd von Menschen Besitz ergreifen, auch wenn es ihnen nicht hilft.«
    »Wieso – nicht hilft?«
    »Sie müssen irgendwann wieder hinaus. Sie können nicht selbst zu diesem Menschen werden, so sehnlich sie es sich wünschen mögen. Ah, wenn Lasher der Alte werden könnte…«
    Der Gedanke erfüllte mich mit Grauen. Ich sah, daß sie über mein Entsetzen lächelte, als sie mich neben sich Platz nehmen ließ. »Aber was ist es, was Sie mir wirklich sagen wollen?« drängte sie.
    »Ich will Sie warnen: Geben Sie dieses Wesen auf, gehen Sie weg von ihm, begründen Sie nicht Ihr Leben auf seine Macht. Vor allem aber lehren Sie es nicht mehr. Denn es wußte nicht, daß es in einen Menschen fahren kann, ehe Sie es ihm beibrachten. Nicht wahr?«
    Jetzt zögerte sie doch und wollte nicht antworten.
    »Aha, also lehren Sie es, um Ihretwillen ein besserer Dämon zu sein!« stellte ich fest. »Wieviel werden Sie ihm noch beibringen, diesem Wesen, das in Menschen fahren und Stürme wecken und sich als hübsches Phantom auf freiem Feld zur Schau stellen kann?«
    »Was heißt das? Was meinen Sie mit Phantom?« fragte sie.
    Und ich erzählte ihr, was ich zu Donnelaith gesehen hatte – die schleierhafte Gestalt dieses Wesens zwischen den uralten Steinen. Damals hätte ich gewußt, berichtete ich, daß es nicht real sei. Sogleich merkte ich, daß nichts von dem, was ich bisher gesagt hatte, bei ihr so viel Interesse geweckt hatte wie dieses jetzt.
    »Sie haben es gesehen?« fragte sie ungläubig.
    »Jawohl, ich habe es in der Tat gesehen, und ich habe gesehen, wie sie es sah – Ihre Mutter.«
    »Ah«, flüsterte sie. »Aber mir ist er so nie erschienen.« Doch dann fuhr sie fort: »Sehen Sie es denn nicht? Suzanne, die Einfältige, glaubte ja, er sei der Schwarze Mann, der Teufel, wie sie ihn nennen – also war er es auch für sie.«
    »Aber in seiner Erscheinung war nichts Grausiges. Er zeigte sich eher als hübscher Mann.«
    Darüber lachte sie boshaft, und ihre Augen blitzten mit plötzlicher Lebhaftigkeit. »Dann hat sie sich den Teufel eben als hübschen Mann vorgestellt, und Lasher hat sich für sie hübsch gemacht. Denn sehen Sie: Alles, was er ist, kommt ja von uns.«
    »Vielleicht, meine Dame, vielleicht.«
    »Ja, und das macht ihn ja so interessant für mich«, sagte sie. »Daß er allein nicht denken kann. Sehen Sie es nicht? Er kann keine klaren Gedanken fassen. Es war Suzanne, die ihn gerufen hat, und es war Deborah, die ihn geformt und ihm die nötige Zielstrebigkeit verliehen hat, den Sturm zu wecken. Und ich habe ihn in den alten Mann gerufen. Ihm gefallen diese Kunststückchen, und er späht durch die Augen des Alten zu uns heraus, als wäre er ein Mensch, und amüsiert sich dabei sehr. Sehen Sie, ich liebe dieses Wesen um seiner Veränderungen willen, um seiner Entwicklung willen, sozusagen.«
    »Charlotte, ich beschwöre Sie…«
    »Petyr«, unterbrach sie mich, »ich will offen mit Ihnen sein, denn Sie verdienen es. Ich bin keine weise Frau aus dem Dorf und keine verängstigte Frohgezeugte. Ich bin eine im Reichtum geborene Frau; ich wurde gebildet und erzogen, seit ich mich erinnern kann, und ich habe alles bekommen, was ich mir habe wünschen können. Und jetzt, mit zweiundzwanzig Jahren, als Mutter und vielleicht schon bald als Witwe, herrsche ich hier. Ich habe hier schon geherrscht, bevor meine Mutter mir ihre Geheimnisse und ihren großen Hausgeist Lasher anvertraute, und ich gedenke dieses Wesen zu erforschen, es zu nutzen und meine schon beträchtliche Kraft von ihm verstärken zu lassen. Das verstehen Sie sicher, Petyr van Abel, denn wir gleichen einander, Sie und ich, und das aus gutem Grunde. Sie sind stark, wie ich stark bin. Verstehen Sie also auch, daß ich diesen Geist inzwischen liebgewonnen habe – ich liebe ihn, hören Sie? Denn dieser Geist ist jetzt mein Wille!«
    »Er hat deine Mutter getötet, schöne Tochter«, sagte ich da, und ich erinnerte sie an alles, was man über die Täuschungen des Übernatürlichen in Geschichten und Sagen zu berichten wußte, und an die Moral, die darin lag: Diese Sache kann die

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