Hexenstunde
Vernunft nicht restlos erfassen, und durch Vernunft läßt sie sich nicht beherrschen.
»Meine Mutter hat dich durchschaut«, sagte sie traurig, und kopfschüttelnd bot sie mir Wein an, doch ich lehnte ab. »Ihr von der Talamasca seid genauso schlimm wie die Katholiken und die Calvinisten, wenn es darauf ankommt.«
»Nein«, widersprach ich. »Wir sind völlig anderer Art. Wir beziehen unser Wissen aus Beobachtung und Erfahrung! Wir sind neuzeitlich und gleichen den Chirurgen und Ärzten und Philosophen, nicht den Pfaffen!«
»Und das heißt?« fragte sie höhnisch.
»Das heißt, wir lernen aus dem, was wir beobachten! Das ist unsere Methode. Ich sage: Schau dieses Ding an, schau dir an, was es getan hat! Ich sage, es hat Deborah mit seinen Taschenspielereien vernichtet. Und es hat Suzanne vernichtet.«
Schweigen.
»Ah«, sagte sie dann. »Aber du gibst mir ja die Mittel, es noch besser zu studieren. Du sagst, ich soll es betrachten, wie ein Arzt es betrachten würde. Und fort mit den Beschwörungsformeln und dem ganzen Kram.«
»Ja. Deshalb bin ich hier.« Ich seufzte.
»Du bist um besserer Dinge willen hier«, sagte sie mit teuflischem, bezauberndem Lächeln. »Komm, laß uns Freunde sein. Trinke mit mir.«
»Ich möchte jetzt zu Bett gehen.«
Sie lachte entzückend. »Das möchte ich auch«, erwiderte sie. »Zur rechten Zeit.«
Und wieder hielt sie mir das Glas entgegen, und aus Höflichkeit nahm ich es und trank. Gleich kam die Trunkenheit zurück, als habe sie wie ein Geist in der Flasche gelauert. »Nichts mehr«, sagte ich.
»O doch – mein feinster Rotwein, du mußt ihn trinken.« Und wieder drängte sie mir das Glas auf.
»Also schön, also schön.« Ich trank.
Wußte ich da schon, Stefan, was geschehen würde? Spähte ich da schon über den Rand des Glases auf ihren frischen kleinen Mund, auf die strotzenden kleinen Arme?
»Oh, du süße, schöne Charlotte«, sagte ich. »Weißt du, wie sehr ich dich liebe? Wir haben von der Liebe gesprochen, aber ich habe dir nicht erzählt…«
»Ich weiß es«, flüsterte sie zärtlich. »Du mußt dich nicht aufregen, Petyr. Ich weiß es schon.« Sie erhob sich und nahm meinen Arm.
»Schau nur«, sagte ich, denn mir schien, als tanzten die Lichter jetzt in den Bäumen, tanzten wie Glühwürmchen, und es war, als seien die Bäume selbst lebendig und beobachteten uns, als steige der Nachthimmel höher und höher, als schwebten die mondbeschienenen Wolken jenseits der Sterne.
»Komm, Liebster«, sagte sie und zog mich die Treppe hinunter, denn ich sage Dir, Stefan, meine Glieder waren geschwächt vom Wein, und ich taumelte.
Unterdessen hatte leise Musik eingesetzt – wenn man es so nennen kann, denn sie bestand ganz aus afrikanischem Trommelklang und einem gespenstischen, traurigen Hörnerton, der mir in einem Augenblick gefiel und im nächsten zuwider war.
»Laß mich los, Charlotte«, sagte ich, denn sie zog mich auf die Klippen zu. »Ich möchte jetzt ins Bett.«
»Ja, das sollst du auch.«
»Warum gehen wir dann an die Klippen, Geliebte? Willst du mich hinunterstürzen?«
Sie lachte. »Du bist so hübsch, trotz deiner Schicklichkeit und deinen holländischen Manieren!« Sie tanzte vor mir, und ihr Haar wehte im Wind, eine geschmeidige Gestalt vor dem dunkel glitzernden Meer.
Ah, solche Schönheit. Schöner noch als meine Deborah. Ich senkte den Blick und sah seltsamerweise das Glas in meiner Linken, und sie füllte es von neuem, und ich war so durstig auf den Wein, daß ich ihn trank, als wäre es Bier.
Sie nahm mich wieder beim Arm und deutete einen steilen Pfad hinunter, der gefährlich dicht am Abgrund verlief, aber dahinter sah ich ein Dach und Licht und etwas, das aussah wie eine weißgekalkte Wand.
Sie legte den Arm um mich, damit ich nicht fiel; ihre Brüste drückten sich an mich, und ihre zarte Wange berührte meine Schulter.
»Die Musik gefällt mir nicht«, sagte ich. »Warum müssen sie sie spielen?«
»Oh, es macht sie glücklich. Die Pflanzer hier in der Gegend denken nicht hinreichend daran, sie glücklich zu machen. Täten sie es, würden sie mehr von ihnen bekommen – aber da sind wir schon wieder bei den Beobachtungen, nicht wahr? Komm schon, denn es erwarten dich große Freuden.«
»Freuden? Oh, aber mir liegt jetzt nichts an Freuden.« Meine Zunge war geschwollen, in meinem Kopf drehte sich alles, und ich konnte mich an die Musik einfach nicht gewöhnen.
»Was, um alles in der Welt, redest du da – dir liegt nichts
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