Hexenstunde
an Freuden?« spottete sie. »Wie kann einem an Freuden nichts liegen?«
Wir waren bei dem kleinen Gebäude angelangt; im hellen Licht des Mondes sah ich jetzt, daß es ein Haus mit dem üblichen Teerdach war, unmittelbar an den Rand der Klippe gebaut. Das Licht, das ich gesehen hatte, fiel vorn heraus; aber eintreten konnten wir nur durch eine schwere Tür, die Charlotte von außen entriegelte.
Sie lachte immer noch über das, was ich gesagt hatte. Ich hielt sie fest.
»Was ist das – ein Gefängnis?«
»Dein Gefängnis ist dein Körper!« versetzte sie und schob mich durch die Tür.
Ich raffte mich auf und wollte wieder hinaus gehen, doch andere hatten die Tür schon geschlossen und von außen verriegelt. Ich hörte es. Erbost und verwirrt schaute ich mich um.
Ein geräumiges Zimmer sah ich da, mit einem mächtigen, vierpfostigen Bett, gut genug für den König von England; zu beiden Seiten davon standen brennende Kerzen. Teppiche bedeckten den gefliesten Boden, und die Vorderfront des kleinen Hauses war offen; die Läden waren aufgeklappt, daß das Licht hinausfiel, aber ich sah bald, warum: Ging man nur zehn Schritte hinaus, gelangte man an eine Balustrade, und dahinter ging es tief hinunter zum Strand und zum heranrollenden Meer.
»Ich habe keine Lust, die Nacht hier zu verbringen«, sagte ich, »und wenn du mir keine Kutsche geben willst, dann gehe ich auch zu Fuß zurück nach Port-au-Prince.«
»Erkläre mir das: Dir liegt nichts an Freuden«, sagte sie sanft und zupfte an meinem Rock. »Bestimmt ist dir heiß in diesen elenden Kleidern. Tragen alle Holländer solche Kleider?«
»Sie sollen mit diesem Getrommel aufhören, ja?« sagte ich. »Ich kann dieses Geräusch nicht ertragen.« Es war, als dringe die Musik durch die Wände. Aber es war jetzt eine Melodie darin, und das war ein wenig beruhigend, auch wenn diese Melodie immer wieder ihre Widerhaken in mich schlug und mich im Geiste mitschleifte, so daß ich gegen meinen Willen im Kopf dazu tanzte.
Und irgend wie fügte es sich, daß ich jetzt auf der Bettkante saß und Charlotte mir das Hemd auszog. Auf einem Tisch, ein paar Schritte weit entfernt, stand ein Silbertablett mit Weinflaschen und feinen Gläsern, und Charlotte ging nun hinüber, schenkte ein Glas Rotwein ein und brachte es mir. Ich wollte es auf den Boden werfen, aber sie hielt mich fest und sah mir in die Augen.
»Petyr, trinke nur noch ein bißchen, damit du schläfst. Und wenn du gehen willst, kannst du gehen.«
»Du lügst«, sagte ich, und im nächsten Augenblick fühlte ich andere Hände auf mir, und andere Röcke streiften meine Beine. Zwei majestätische Mulattinnen waren von irgendwoher in das Gemach getreten, beide von exquisiter Schönheit und sinnenfroh anzusehen in ihren frischgebügelten Röcken und den Rüschenblusen, wie sie sich leichtfüßig durch den Nebel bewegten, der inzwischen alle meine Wahrnehmungen umhüllte. Sie klopften die Kissen auf und zupften die Moskitonetze über dem Bett zurecht. Dann zogen sie mir Stiefel und Hose aus.
»Charlotte, ich gestatte das nicht!« sagte ich, aber ich trank von dem Wein, als sie mir das Glas an den Mund hielt, und wieder überkam mich ein Gefühl der Ohnmacht. »Oh, Charlotte, warum das alles?«
»Sicher willst du doch die Freude beobachten«, flüsterte sie und streichelte mir dabei auf eine Weise übers Haar, die mich sehr beunruhigte. »Es ist durchaus mein Ernst. Höre auf mich. Du mußt mit der Freude experimentieren, um sicher zu sein, daß dir nichts daran liegt, wenn du weißt, was ich meine.«
»Das weiß ich nicht. Ich möchte gehen.«
»Nein, Petyr. Nicht jetzt.« Sie sprach mit mir wie mit einem Kind.
Sie kniete vor mir und schaute zu mir auf, und ihr Kleid schnürte ihre nackten Brüste so fest, daß ich sie befreien wollte. »Trinke noch etwas, Petyr«, sagte sie.
Ich schloß die Augen und verlor sofort mein Gleichgewicht. Die Musik der Trommeln und des Horns war langsamer und noch melodischer geworden, und sie ließ mich jetzt an Madrigale denken, obgleich sie natürlich viel wilder war. Lippen streiften meine Wangen, und als ich erschrocken die Augen aufschlug, sah ich, daß die Mulattinnen nackt waren und sich mir anboten – ich weiß nicht, wie ich ihre Gebärden sonst beschreiben soll.
In einiger Entfernung stand Charlotte, die Hand auf dem Tisch, regungslos wie ein Stilleben, doch inzwischen war mir alles ganz unfaßbar geworden. Einer Statue gleich stand sie vor dem mattblauen Himmel; die
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