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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zu Bett«, sagte Charlotte und trat an seinen Stuhl. »Wir kommen später und sehen nach dir.«
    Nahm niemand sonst dieses Grauen wahr? Daß die nutzlosen Glieder des Alten von dämonischen Kräften bewegt wurden? Die Cousinen starrten ihn in sprachlosem Ekel an, als er jetzt vom Stuhl gehoben wurde. Das Kinn baumelte auf seiner Brust, als man ihn fortschleppte. Charlotte beobachtete das alles schweigend und kehrte dann an ihren Platz am Tisch zurück.
    Unsere Blicke trafen sich. Ich hätte schwören können, es war Haß, was mir da entgegenstarrte. Haß für das, was ich wußte. Verlegen nahm ich noch einen Schluck Wein; er war überaus köstlich, wenn gleich ich bemerkt hatte, daß er auch ungewöhnlich stark war – oder ich war ungewöhnlich schwach.
    Die alte taube Frau, jene, die wie ein geschäftiges Insekt auf mich wirkte, ergriff wieder das Wort und sagte laut zu niemand bestimmtem: »Seit Jahren habe ich ihn die Hände nicht mehr so bewegen sehen.«
    »Nun, für mich klang er gerade wie der Teufel!« sagte die hübsche junge Frau.
    »Verdammt, er wird niemals sterben«, wisperte Andre und schlief ein; sein Gesicht fiel auf seinen Teller, und das umgekippte Weinglas kullerte vom Tisch.
    Charlotte, die das alles und mehr mit ruhiger Gelassenheit sah, lachte leise. »Oh, er ist alles andere als tot.«
    Da ließ ein gräßliches Geräusch die ganze Gesellschaft zusammenfahren: Oben an der Treppe stieß der alte Mann noch einmal ein lautes, furchtbares Gelächter aus.
    Charlottes Gesicht wurde hart. Sanft tätschelte sie noch einmal die Hand ihres Mannes und verabschiedete sich dann in großer Eile – nicht so hastig allerdings, daß sie mich beim Hinausgehen nicht noch einmal angesehen hätte.
    Schließlich erklärte seufzend auch der alte Doktor, der zu diesem Zeitpunkt schon fast zu berauscht war, um noch aufzustehen, daß er nun gehen müsse. In diesem Augenblick trafen zwei neue Besucher ein, zwei gutgekleidete Franzosen, denen sich die gutaussehende ältere Cousine sogleich zugesellte, während die drei anderen aufstanden und hinaus gingen; das alte Weib funkelte noch einmal mißbilligend den betrunkenen Bruder an, der immer noch mit dem Gesicht auf dem Teller lag, und murmelte irgend etwas vor sich hin. Der andere war unterdessen aufgestanden, um dem betrunkenen Arzt beim Aufstehen behilflich zu sein, und zusammen wankten die beiden jetzt hinaus auf die Galerie.
    Ich war nun allein mit Antoine und einer Schar Sklaven, die den Tisch abräumten. Ich fragte den Mann, ob er eine Zigarre mit mir rauchen wolle; ich hätte in Port-au-Prince zwei sehr gute gekauft.
    »Ah, aber Sie müssen meine versuchen, aus dem Tabak, den ich hier anbaue«, erklärte er. Ein junger Sklave brachte uns die Zigarren und zündete sie an. Dann blieb er bei seinem Herrn stehen und nahm sie ihm aus dem Mund oder steckte sie hinein, wie es gerade angebracht war. »Sie müssen meinen Vater entschuldigen«, sagte Antoine leise, als wolle er nicht, daß der Sklave es hörte. »Er ist bei überaus scharfem Verstand. Diese Krankheit ist grauenvoll.«
     
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich. Lautes Geplauder und Gelächter drang aus dem Salon jenseits des Flures, wo sich die Frauen anscheinend mit den Gästen und wahrscheinlich auch mit dem betrunkenen Bruder und dem Doktor niedergelassen hatten.
     
    Zwei schwarze Sklavenjungen versuchten inzwischen, den anderen Bruder hochzuheben; der aber sprang jäh auf die Beine, empört und streitlustig, und schlug einen der Jungen, so daß dieser zu weinen begann.
    »Sei kein Narr, André«, sagte Antoine müde. »Komm her, mein armer Kleiner.«
    Der Sklave gehorchte, während der Betrunkene hinauspolterte.
    »Nimm die Münze aus meiner Tasche«, sagte Antoine. Der Sklave, dem dieses Ritual anscheinend geläufig war, gehorchte, und seine Augen glänzten wieder, als er seinen Lohn in die Höhe hielt.
    Endlich erschienen Reginald und die Dame des Hauses wieder, begleitet jetzt von dem rosenwangigen kleinen Sohn, einem gesegneten Lämmchen, hinter dem zwei Mulatinnen wachten, als sei das Kind aus Porzellan und könne jeden Augenblick zu Boden fallen.
    Das Lämmchen lachte und strampelte vor Freude über den Anblick seines Vaters. Und welch ein trauriges Schauspiel war es, daß der Vater nicht einmal seine jämmerlichen Hände heben konnte.
    Das Kind zeigte keinerlei Anzeichen irgendeiner Krankheit, aber Antoine hatte in diesem zarten Alter vermutlich auch noch nichts erkennen lassen. Schönheit

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