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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nehmen brauchte.
    Ich weiß, daß ich kurz vor Tagesanbruch neben ihr lag und sie betrachtete, als wollte ich sie und ihre Schönheit ergründen, denn da schlief sie, und nichts geriet zwischen mich und meine Beobachtungen – ah ja, erbittert dachte ich an ihren Spott, doch tatsächlich, Stefan, es waren Beobachtungen – und ich glaube, in dieser Stunde lernte ich mehr über eine Frau als je zuvor in meinem ganzen Leben.
    Wie liebreizend in seiner Jugend war ihr Körper, wie fest und süß ihre jungen Gliedmaßen und ihre frische Haut. Ich wollte nicht, daß sie erwachte und mich mit den weisen, verschlagenen Augen Charlottes anschaute. Ich wollte weinen, weil all das geschehen war.
    Ich glaube, sie erwachte dann, und wir sprachen eine Weile miteinander, doch ich erinnere mich besser an das, was ich sah, als an das, was wir sagten.
    Und wieder flößte sie mir ihren Trank ein, ihr Gift, und sie hatte der Mixtur noch größere Verlockungen beigemengt, denn sie erschien mir jetzt tieftraurig und erpichter denn je auf meine Gedanken. So saß sie da, umflossen von ihrem goldenen Haar wie die Lady Godiva der Engländer, und wunderte sich wieder, daß ich Lasher im Steinkreise zu Donnelaith gesehen hatte.
    Und jetzt, Stefan, schien der Trank mir vorzugaukeln, daß ich dort sei! Denn ich hörte wieder das Knarren des Karrens, und ich sah meine kostbare kleine Deborah und in der Ferne die schmale Gestalt des dunklen Mannes.
    »Ah, aber verstehst du: Deborah war es, die ihn sehen sollte«, hörte ich mich erklären, »und daß ich ihn sah, beweist nur, daß jeder ihn hätte sehen können, daß er auf irgendeine mysteriöse Weise physische Gestalt angenommen hatte.«
    »Ja, und wie sollte er das getan haben?«
    Und wieder zog ich aus dem Archiv meines Kopfes die Lehren der Alten. »Wenn dieses Wesen Juwelen für dich sammeln kann…«
    »…was er tut…«
    »…dann kann es auch winzige Partikel zusammen ziehen, die ihm menschliche Gestalt verleihen.«
    Und im Handumdrehen fand ich mich in Amsterdam im Bett mit meiner Deborah, und alles, was sie in jener Nacht zu mir gesagt hatte, wurde nochmals gesprochen, als stände ich mit ihr hier in diesem Zimmer. Und alles erzählte ich sodann meiner Tochter, der Hexe in meinen Armen, die mir Wein einschenkte und die ich tausendmal nehmen wollte, ehe ich Erlösung fände.
    »Aber wenn du weißt, daß ich dein Vater bin, warum hast du dieses dann getan?« fragte ich und wollte gleichzeitig ihre Wange küssen.
    Sie schob mich von sich, wie sie ihr Kind von sich schieben mochte. »Ich brauche deine Größe und deine Kraft, Vater. Ich brauche ein Kind von dir – einen Sohn, der Antoines Krankheit nicht erbt, oder eine Tochter, die Lasher sehen wird, denn Lasher wird sich einem Mann nicht zeigen.« Sie überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Und du, siehst du, bist nicht bloß ein Mann für mich, sondern ein Mann, der mir durch mein Blut verbunden ist.«
    Es war also alles geplant gewesen.
    »Aber es steckt mehr dahinter«, fuhr sie fort. »Weißt du, was es für mich bedeutet, mich von den Armen eines echten Mannes umschlungen zu fühlen? Einen echten Mann auf mir zu haben? Und warum sollte es nicht mein Vater sein, wenn mein Vater der angenehmste aller Männer ist, die ich je gesehen habe?«
    Sicher vergoß ich Tränen, denn ich erinnere mich, daß sie mich tröstete und wie anrührend ihre Besorgnis war. Und dann klammerte sie sich doch an mich, schmiegte sich wie ein Kind an meine Seite und sagte, nun wüßten wir beide Dinge, die niemand außer Deborah je gewußt habe, und Deborah sei nun tot. Und sie weinte. Sie weinte um Deborah.
    »Als er zu mir kam und mir sagte, sie sei tot, da weinte und weinte ich. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Und sie schlugen an die Türen und riefen: ›Charlotte, komm heraus.‹ Bis zu diesem Augenblick hatte ich ihn nie gesehen und nie von ihm gehört. Meine Mutter hatte gesagt: ›Lege die Smaragdkette an; in ihrem Licht wird er dich finden.‹ Aber er brauchte dieses Ding gar nicht. Das weiß ich jetzt. Ich lag allein im Dunkeln, als er zu mir kam. Bis zu diesem Augenblick glaubte ich nicht an ihn! Ich hatte die kleine Puppe in den Händen – die Puppe, die aus Knochen und Haaren von Suzanne gemacht ist, sagte meine Mutter: Lasher habe ihr die Haare gebracht, als man sie Suzanne im Kerker abgeschnitten hatte, und die Knochen, nachdem sie verbrannt worden war.«
    »In Montcleve haben sie mir diese Puppe beschrieben.«
    »Ja, und ich hatte

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