Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
auch tun können. Julien sah wirklich prächtig aus im Sarg. Und Sie hätten all die Schirme sehen sollen, auf dem Lafayette-Friedhof am nächsten Tag! Ich sage Ihnen, als sie den Sarg in die Gruft schoben, da bin ich innerlich selbst gestorben. Und genau in diesem Augenblick kam Mary Beth zu mir, und sie legte mir den Arm um die Schulter und flüsterte, so daß nur ich es hören konnte: ›Au revoir, mon cher Julien!‹ Sie hat es für mich getan, das weiß ich. Sie hat es für mich getan, aber es war auch ungefähr das Warmherzigste, was sie je getan hat.«
    An dieser Stelle befragte ich ihn eingehender und wollte wissen, ob Carlotta bei der Bestattung geweint habe.
    »Durchaus nicht. Ich kann mich nicht mal erinnern, sie da überhaupt gesehen zu haben. Sie war ein so schreckliches Kind. Humorlos und feindselig gegen jedermann. Julien hat einmal zu mir gesagt, Carlotta werde ihr Leben vergeuden, genau wie seine Schwester Katherine.
    ›Manche Leute leben nicht gern‹, meinte er. ›Sie können das Leben einfach nicht ausstehen. Sie behandeln es wie eine schreckliche Krankheit.‹ Ich mußte darüber lachen. Aber ich habe seitdem oft darüber nachgedacht. Julien liebte es, zu leben. Er war der erste in der Familie, der ein Automobil kaufte. Ein Stutz Bearcat war es, ganz unglaublich! Und mit dem Ding sind wir herumgefahren, kreuz und quer durch New Orleans. Er fand es wundervoll!
    Er saß neben mir auf dem Vordersitz – ich mußte natürlich fahren -, in ein Reiseplaid gewickelt und mit seiner Staubbrille vor den Augen, und er lachte nur und freute sich, wenn ich rausklettern mußte, um das Ding anzukurbeln! Aber es hat Spaß gemacht, wirklich. Stella hat das Auto auch geliebt. Ich wünschte heute, ich hätte es noch. Wissen Sie, Mary Beth wollte es mir schenken, und ich habe es abgelehnt. Wollte die Verantwortung für das Ding nicht übernehmen, schätze ich. Ich hätt’s nehmen sollen.
    Später hat Mary Beth den Wagen einem ihrer Männer geschenkt, irgendeinem jungen Iren, den sie als Kutscher eingestellt hatte. Verstand nicht die Bohne von Pferden, wie ich mich erinnere. Brauchte er aber auch nicht. Ich glaube, später ist er Polizist geworden. Aber sie hat ihm dieses Auto geschenkt. Ich weiß das, weil ich ihn einmal damit gesehen habe, und er hat es mir erzählt.
    Ja, Julien hat das Leben geliebt. Er war eigentlich nie wirklich alt.
    Er erzählte mir, wie es mit seiner Schwester Katherine gewesen war, in den Jahren vor dem Krieg. Er hatte mit ihr die gleichen Späße getrieben wie nachher mit Mary Beth. Nur gab’s damals noch kein Storyville. Damals gingen sie in die Gallatin Street, in die wüstesten Flußkneipen der Stadt. Katherine verkleidete sich als junger Matrose und wickelte sich einen Verband um den Kopf, um ihr Haar zu verbergen.
    ›Sie war anbetungswürdig‹, sagte Julien. ›Du hättest sie sehen sollen. Aber dann hat dieser Darcy Monahan sie vernichtet. Sie hat ihm ihre Seele verkauft. Ich sage dir, Richard, wenn du je bereit sein solltest, deine Seele zu verkaufen, dann gib dich nicht damit ab, sie an einen anderen Menschen zu verkaufen. Es ist ein schlechtes Geschäft, so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen.‹
    Julien sagte oft so seltsame Sachen. Natürlich war Katherine, als ich aufkreuzte, eine ausgebrannte, verrückte alte Schachtel. Schlichtweg verrückt, sage ich Ihnen – auf diese bockige, ewig sich wiederholende Weise, die einem auf die Nerven geht.
    Immer saß sie hinten im Garten auf einer Bank und redete mit ihrem toten Mann, mit Darcy. Julien widerte das an. Ihre Religion ebenfalls. Und ich glaube, sie hatte einen gewissen Einfluß auf Carlotta, so klein sie auch war. Sicher war ich da allerdings nie. Carlotta ging jedenfalls sonntags mit ihr zur Messe in die Kathedrale.
    Ich erinnere mich, daß Carlotta später einmal einen furchtbaren Streit mit Julien hatte, aber ich habe nie erfahren, worum es ging. Julien war ein so liebenswürdiger Mann; es war so leicht, ihn zu mögen. Aber das Kind konnte ihn nicht ausstehen. Sie konnte es nicht ertragen, in seiner Nähe zu sein. Und dann brüllten sie einander an, hinter geschlossenen Türen in der Bibliothek. Sie brüllten auf französisch, und ich verstand kein Wort. Schließlich kam Julien heraus und ging nach oben. Er hatte Tränen in den Augen. Und er hatte eine Schramme im Gesicht; er drückte sein Taschentuch darauf. Ich glaube, das kleine Biest hatte ihn tatsächlich geschlagen. Es war übrigens das einzige Mal, daß ich ihn

Weitere Kostenlose Bücher