Hexenstunde
hat mir das alles erzählt. Sie waren dort unten gewesen, um ein bißchen umher zu ziehen und nach Möglichkeit die Razzy Dazzy Spasm Band zu hören. Von der haben Sie, denke ich, schon gehört. Sie war gut, das war sie wirklich. Und irgend wie liefen Julien und Mary Beth, die sich bei diesen Ausflügen Jules nannte, Daniel McIntyre über den Weg, und danach zogen sie von Lokal zu Lokal und suchten nach einer guten Partie Pool, denn darauf hatte Mary Beth sich immer schon verstanden.
Es muß schon hell gewesen sein, als sie beschlossen, nach Hause zu gehen, und als der Richter ›Jules‹ zum Abschied mächtig umarmte, da nahm sie den Hut ab, und all das schwarze Haar wallte herunter, und sie sagte ihm, daß sie eine Frau sei. Fast hätte ihn an Ort und Stelle der Schlag getroffen.
Ich glaube, von diesem Tag an hat er sie geliebt. Ich kam ein Jahr nach ihrer Hochzeit, und da hatten sie schon Miss Carlotta, ein Baby in der Wiege; Lionel kam zehn Monate später, und anderthalb Jahre darauf dann Stella, die hübscheste von allen.
Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Richter McIntyre hat nie aufgehört, Mary Beth zu lieben. Das war sein Problem. 1913 war das letzte Jahr, das ich noch vollständig in diesem Haus verbrachte; da war er natürlich schon seit mehr als acht Jahren Richter, dank Juliens Einfluß, und ich sage Ihnen, er hat Mary Beth geliebt wie eh und je. Und auf ihre Art hat sie ihn auch geliebt. Ich schätze, sie hätte es mit ihm nicht ausgehalten, wenn es anders gewesen wäre.
Natürlich gab’s da die jungen Männer. Die Leute redeten über die jungen Männer. Sie wissen schon, ihre Stalljungen und ihre Botenjungen – und die sahen gut aus, wirklich. Man sah sie die Hintertreppe herunter kommen, wissen Sie, und sie sahen irgend wie ängstlich aus, wenn sie zur Hintertür hinausschlüpften. Aber sie hat Richter McIntyre geliebt, wirklich; und ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich glaube, er hat’s nie gemerkt. Er war dauernd so verdammt betrunken. Und Mary Beth behandelte die Sache so kühl, wie sie auch alles andere behandelte.
Mich hat’s immer erstaunt, wie sie Carlotta ertrug. Carlotta war dreizehn Jahre alt, als ich fortging. Sie war eine Hexe, die Kleine! Sie wollte auf ein Internat, und Mary Beth versuchte es ihr auszureden, aber das Mädchen war fest entschlossen, und schließlich ließ Mary Beth sie ziehen.
Mary Beth hakte Leute ab, und man könnte sagen, sie hakte Carlotta ab. Es lag teils an ihrer Kälte, nehme ich an, und es konnte einen zur Weißglut bringen. Als Julien gestorben war – wie sie mich da aus der Bibliothek aussperrte und aus dem Schlafzimmer im zweiten Stock, das werde ich nie vergessen. Dabei war sie kein bißchen aufgeregt. ›Jetzt gehen Sie, Richard, gehen Sie nach unten und trinken Sie einen Kaffee, und dann sollten Sie vielleicht packen‹, sagte sie, als spräche sie mit einem kleinen Kind.
Aber nein, in Aufregung geriet sie nie. Außer, als ich ihr sagte, daß Julien gestorben war. Da war sie aufgeregt. Um die Wahrheit zu sagen, sie geriet in Raserei. Aber nur für einen kurzen Augenblick. Als sie dann sah, daß er wirklich entschlafen war, beruhigte sie sich wieder, und sie rückte ihn zurecht und zog das Bettzeug glatt. Und nie wieder sah ich sie eine Träne vergießen.
Aber ich will Ihnen etwas Merkwürdiges von Juliens Beerdigung erzählen. Mary Beth tat etwas sehr Sonderbares. Sie war in diesem vorderen Zimmer, die Aufbahrung, und der Sarg war offen. Julien war eine schöne Leiche, und alle Mayfairs aus Louisiana waren anwesend. Ja, die Kutschen und Autos standen viele Blocks weit in der First und in der Chestnut Street. Und es hat geregnet – oh, wie es geregnet hat! Ich dachte, es würde überhaupt nicht mehr aufhören. So dick war der Regen, daß er wie ein Schleier um das Haus wehte. Aber die Hauptsache war folgendes. Sie hielten die Totenfeier für Julien; es war eigentlich nicht das, was man von den Iren kennt, denn dazu waren sie zu vornehm, aber es gab Wein und Essen, und natürlich war der Richter voll wie eine Haubitze. Und irgendwann, vor all den Leuten im Zimmer, schob Mary Beth sich einen Stuhl neben den Sarg, und sie langte in den Sarg und ergriff Juliens tote Hand, und dann döste sie einfach ein, auf dem Stuhl, den Kopf zur Seite gelegt, und hielt Juliens Hand, während all die Verwandten kamen und gingen.
Es war eine zärtliche Sache. Aber so eifersüchtig ich auch immer auf sie gewesen war, dafür liebte ich sie. Ich wünschte, ich hätte es
Weitere Kostenlose Bücher