Hexenstunde
es ganz verschwunden, als hätte es nie existiert.
Daß Mary Beth und Julien dies als Tragödie empfanden, war klar. Man sprach in New Orleans viel von den Ingenieuren, die sie konsultierten, um die Tragödie abzuwenden. Einen nicht geringen Anteil daran hatte auch Katherine, Mary Beths alternde Mutter, die nicht nach New Orleans in das Haus ziehen wollte, das Darcy Monahahn vor Jahrzehnten für sie gebaut hatte.
Schließlich mußte man Katherine unter Beruhigungsmittel setzen, um sie in die Stadt zu transportieren. Sie erholte sich, wie schon berichtet, nie mehr von diesem Schock und verlor bald den Verstand; sie irrte im Garten in der First Street umher, sprach mit Darcy, suchte ihre Mutter Marguerite und kippte immer wieder Schubladen aus, um Dinge zu suchen, die sie angeblich verloren hatte.
Mary Beth tolerierte sie; einmal äußerte sie – sehr zum Schrecken des zuständigen Arztes -, sie tue für ihre Mutter mit Vergnügen, was sie könne, aber sie finde weder die Frau noch ihre Lage »besonders interessant«, und sie wünschte, es gebe irgendein Medikament, das man ihr verabreichen könnte, um sie ruhig zustellen.
Wenn sie Katherine »irgendein Medikament« verabreichten, so wissen wir davon nichts. 1898 fing sie an, auf der Straße herum zu wandern, und man stellte einen jungen Mulatten ein, der keine andere Aufgabe hatte, als ihr zu folgen. Sie starb in der First Street, im Bett in einem der hinteren Schlafzimmer – in der Nacht des 2. Januar 1905, um genau zu sein -, und nach allem, was wir wissen, war ihr Tod nicht von einem Unwetter begleitet, und auch von keinem anderen ungewöhnlichen Ereignis. Nach Auskunft der Dienstboten hatte sie ein paar Tage im Koma gelegen, als sie starb, und Mary Beth und Julien waren bei ihr.
Am 15. Januar 1899 heirateten Mary Beth und Daniel McIntyre mit viel Pomp in der Pfarrkirche von St. Alphonsus. Es ist interessant, zu vermerken, daß die Familie bis zu dieser Zeit die Kirche Notre Dame besuchte (die französische der Gemeindekirchen), für die Hochzeit aber die irische Kirche auserwählte; von da an gingen sie zu allen Gottesdiensten nach St. Alphonsus.
Man kann daher annehmen, daß der Wechsel zu der irischen Kirche auf Daniels Einfall zurückzuführen ist. Man kann ebenso sicher vermuten, daß Mary Beth der Sache so gut wie gleichgültig gegenüber stand, auch wenn sie mit ihren Kindern, Großnichten und -neffen oft in die Kirche ging; woran sie dabei glaubte, läßt sich allerdings nicht sagen. Julien ging niemals in die Kirche, von Hochzeiten, Bestattungen und Taufen abgesehen.
Die Hochzeit von Daniel und Mary Beth war, wie gesagt, gewaltig. Ein Empfang von schwindelerregenden Proportionen fand im Haus in der First Street statt, und noch aus New York kamen Verwandte. Daniels – allerdings viel kleinere – Familie war ebenfalls zugegen, und nach allen Berichten war das Paar bis über die Ohren verliebt und glücklich, und man tanzte und sang bis tief in die Nacht hinein.
Die Hochzeitsreise führte das junge Ehepaar nach New York und von dort nach Europa, wo sie vier Monate blieben; im Mai beendeten sie die Reise vor der Zeit, weil Mary Beth bereits ein Kind erwartete.
Tatsächlich wurde Carlotta Mayfair siebeneinhalb Monate nach der Hochzeit ihrer Eltern am 1. September 1899 geboren.
Am 2. November des folgenden Jahres brachte Mary Beth ihren einzigen Sohn, Lionel, zur Welt, und am 10. Oktober 1901 bekam sie ihr letztes Kind, Stella.
Rechtlich gesehen waren diese Kinder selbstverständlich allesamt von Daniel McIntyre, aber im Rahmen der Mayfairschen Familiengeschichte kann man berechtigterweise fragen, wer wohl der wirkliche Vater war.
Es gibt überwältigendes Indizienmaterial – medizinische Akten wie auch Photos – dafür, daß Daniel McIntyre Carlotta Mayfairs Vater war. Sie hat nicht nur seine grünen Augen geerbt, sondern auch seine wunderschönen rötlichblonden Locken.
Was Lionel betrifft, so hatte er die gleiche Blutgruppe wie Daniel McIntyre, und er hatte auch große Ähnlichkeit mit ihm, wenngleich er auch seiner Mutter mit ihren dunklen Augen und ihrem »Ausdruck« sehr glich, vor allem in ihren späteren Jahren.
Was indessen Stella betrifft, so läßt ihre Blutgruppe, wie sie bei der oberflächlichen Obduktion im Jahr 1929 ermittelt wurde, den Schluß zu, daß sie nicht Daniel McIntyres Tochter war. Wir wissen, daß diese Information seinerzeit ihrer Schwester Carlotta zur Kenntnis kam. Gerüchte darüber, wonach Carlotta die
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