Hexenstunde
tanzte in ihrem kurzen Fransenkleid und den glitzernden Strümpfen, die mit ihren großen, wie Edelsteine funkelnden Augen alle und zugleich niemanden anblitzte, während sie die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes im Raum an sich fesselte.
Als Lionel zur Schule geschickt wurde, bat Stella darum, ebenfalls gehen zu dürfen – das jedenfalls erzählte sie den Nonnen vom Heiligen Herzen. Aber innerhalb von drei Monaten nach ihrer Zulassung als Tagesschülerin wurde sie inoffiziell der Anstalt verwiesen. Es hieß, sie mache den anderen Schülerinnen Angst. Sie könne ihre Gedanken lesen, und es mache ihr Spaß, dieses Talent zu gebrauchen; überdies könne sie Leute umherschleudern, ohne sie zu berühren, und sie habe einen unberechenbaren Sinn für Humor und lache über Äußerungen der Nonnen, die sie für krasse Lügen halte. Ihr Benehmen war von endloser Peinlichkeit für Carlotta, obgleich sie Stella nach allem, was zu erfahren ist, ebenfalls liebte und jede Anstrengung unternahm, sie zur Anpassung zu überreden.
Als nächstes besuchte Stella die Schule der Ursulinen, und zwar lange genug, um mit der Klasse zur Erstkommunion zu gehen, aber unmittelbar danach wurde sie auf dieselbe diskrete, inoffizielle Weise mehr oder weniger wegen der gleichen Klagen von der Schule geworfen. Diesmal war sie anscheinend zerknirscht darüber, denn sie betrachtete die Schule als einen großen Spaß und war nicht gern den ganzen Tag zu Hause, wo ihre Mutter und Onkel Julien ihr dauernd sagten, sie seien beschäftigt. Sie wollte mit anderen Kindern spielen. Ihre Gouvernante war ihr lästig. Sie wollte hinaus.
Stella besuchte in der Folgezeit vier verschiedene Privatschulen; auf keiner blieb sie länger als drei oder vier Monate. Schließlich landete sie in der Schule der Pfarrgemeinde St. Alphonsus, wo sie die einzige war, die jeden Tag mit einem Packard zur Schule gefahren wurde. Ein Luxus, von dem die anderen Schüler, allesamt aus der irisch-amerikanischen Arbeiterschaft, nur träumen konnten.
Schwester Bridget Marie, eine aus Irland stammende Nonne, die bis zu ihrem neunzigsten Lebensjahr im Mercy Hospital in New Orleans lebte, erinnerte sich noch fünfzig Jahre später lebhaft an Stella; 1969 erzählte sie dem Verfasser, Stella Mayfair sei ohne Zweifel eine Art Hexe gewesen.
Wiederum beschuldigte man Stella, sie habe Gedanken gelesen, sie habe Leute ausgelacht, die sie belogen hatten, sie habe mit den Kräften ihres Geistes Dinge umhergeworfen und mit einem unsichtbaren Freund gesprochen, einem »Hausgeist« nach Angaben von Schwester Bridget Marie, der getan habe, was Stella ihm befahl – nämlich unter anderem, verlorene Dinge wiederzufinden und Gegenstände durch die Luft fliegen zu lassen.
Aber Stella legte diese Kräfte keineswegs unaufhörlich an den Tag. Sie versuchte oft über lange Zeitabschnitte hinweg, brav zu sein. Ihre Lieblingsfächer waren Lesen und Geschichte und Englisch; sie spielte gern mit den anderen Mädchen auf dem Schulhof an der St. Andrew Street, und sie hatte die Nonnen sehr gern.
Und die Nonnen mochten Stella ebenfalls. Sie ließen sie in den Garten des Konvents, um dort mit ihnen Blumen zu schneiden, oder nahmen sie nach dem Unterricht mit in ihren Gemeinschaftsraum, um ihr das Sticken beizubringen, wofür sie ein besonderes Talent hatte.
»Und sie war nicht niederträchtig, das muß ich sagen. Sie war nicht niederträchtig. Wenn sie’s gewesen wäre, dann wäre sie ein Monster gewesen, die Kleine. Gott weiß, was für böse Dinge sie dann hätte tun können. Ich glaube nicht, daß sie wirklich Ärger machen wollte. Aber sie hatte ein klammheimliches Vergnügen an ihren Fähigkeiten, wenn Sie wissen, was ich meine. Es machte ihr Spaß, die Geheimnisse anderer Leute zu durch schauen. Es machte ihr Spaß, zu sehen, wie man erstaunt guckte, wenn sie einem sagte, was man in der vergangenen Nacht geträumt hatte.
Und – oh, sie stürzte sich Hals über Kopf in alles Mögliche. Sie malte von morgens bis abends Bilder, wochenlang, und dann warf sie ihre Stifte zum Fenster hinaus und malte nie wieder etwas. Dann war es das Sticken – sie mußte es lernen. Und sie brachte die allerschönste Arbeit zustande und machte sich Vorwürfe wegen des kleinsten Fehlers, und dann warf sie die Nadeln weg und war fertig damit für alle Zeit. Ich habe nie ein so wechselhaftes Kind gesehen. Es war, als suche sie etwas – etwas, dem sie sich hingeben könnte. Und sie hat’s nie gefunden. Zumindest nicht, solange
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