Hexenstunde
damals um die Dreißig war, hieß Maria Magdalena Gabrielli; sie kam mit der Familie nach Amerika und blieb Anthas Kindermädchen, bis diese neun Jahre alt war.
Wenn sie Lasher jemals sah, wissen wir darüber nichts. Sie wohnte in der First Street, bis sie starb, und sie sprach, soviel wir wissen, mit niemandem außerhalb der Familie. Der Familienlegende zufolge war sie sehr gebildet; sie konnte Französisch und Englisch ebenso wie natürlich Italienisch, und »es gab da einen Skandal in ihrer Vergangenheit«.
Cortland verließ die anderen schließlich 1923, als das Trio in New York eingetroffen war; Stella und Lionel blieben mit Antha und dem Kindermädchen in Greenwich Village, wo Stella sich mit etlichen Intellektuellen und Künstlern anfreundete; sie versuchte sich sogar an eigener Malerei (»ganz scheußlich«, sagte sie selbst immer), am Schreiben (»grausig«) und an der Bildhauerei (»absoluter Müll«). Schließlich begnügte sie sich damit, einfach die Gesellschaft wahrhaft kreativer Menschen zu genießen.
Jede Gerüchtequelle in New York bekräftigt, daß Stella überaus großzügig war. Sie verteilte beträchtliche »Handgelder« an diverse Maler und Poeten. Dem einen abgebrannten Freund kaufte sie eine Schreibmaschine, dem anderen eine Staffelei, und ein alter Gentleman-Poet bekam sogar ein Auto.
In dieser Zeit nahm Lionel seine Studien wieder auf und lernte Verfassungsrecht bei einem der New Yorker Mayfairs. Auch brachte er beträchtlich viel Zeit in den Museen von New York City zu, und häufig schleifte er Stella in die Oper – in der sie sich inzwischen zu langweilen begann -, ins Symphoniekonzert – das ihr nur wenig besser gefiel – und ins Ballett, das ihr wirklich Spaß machte.
Die Familienlegenden der New Yorker Mayfairs (die uns erst jetzt zur Verfügung stehen, weil damals niemand reden wollte) beschreiben die beiden als draufgängerische, charmante Leute von unermüdlicher Energie, die unablässig Gäste bewirteten und nicht selten andere Familienmitglieder in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett klingelten.
Zwei Photos, die in New York aufgenommen wurden, zeigen Lionel und Stella als glücklich lächelndes Duo. Lionel war sein Leben lang ein schlanker Mann; wie bereits angemerkt, hatte er Richter McIntyres bemerkenswerte grüne Augen und sein strohblondes Haar geerbt. Er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Stella, und mehr als einmal bemerkten Bekannte, wie schockiert Neulinge in der Gesellschaft manchmal waren, wenn sie erfuhren, daß Lionel und Stella Geschwister waren: Sie hatten die beiden für etwas anderes gehalten.
Wenn Stella einen bestimmten Liebhaber hatte, so wissen wir davon nichts. Stellas Name wurde (bis heute) nie in einem Atemzug mit einem anderen genannt, obgleich man fand, daß sie ihre Gunst absolut unbekümmert verschenkte, wo es um junge Männer ging. Wir haben Berichte über zwei verschiedene, junge Maler, die sich leidenschaftlich in sie verliebten, aber Stella lehnte es ab, »sich binden zu lassen«.
Was wir über Lionel wissen, bestätigt uns immer wieder, daß er still und ein wenig zurückgezogen war. Anscheinend machte es ihm viel Freude, zu sehen, wie Stella tanzte und lachte und sich mit ihren Freunden amüsierte. Er tanzte nicht selten selbst mit ihr, und er tat es mit Vergnügen und ziemlich gut, aber er stand unzweifelhaft in ihrem Schatten. Seine Vitalität schien er von ihr zu beziehen. Wenn Stella nicht da war, war er »wie ein leerer Spiegel«. Man bemerkte seine Anwesenheit kaum.
1924 kamen sie schließlich nach Hause: Stella, Lionel, die kleine Antha und das Kindermädchen. Mary Beth gab eine riesige Familienparty in der First Street, und die Nachkommen bemerken noch heute traurig, daß es die letzte Feier war, bevor sie krank wurde.
Um diese Zeit trug sich ein sehr merkwürdiges Ereignis zu.
Wie schon erwähnt, arbeitete im Auftrag der Talamasca ein Team von ausgebildeten Detektiven in New Orleans, professionelle Ermittler, die niemals fragten, weshalb man sie beauftragte, Informationen über eine bestimmte Familie oder ein bestimmtes Haus zusammenzutragen. Einer dieser Detektive, ein Mann, der auf Scheidungsfälle spezialisiert war, hatte schon geraume Zeit unter den Photographen von New Orleans verbreitet, daß er für weggeworfene Bilder der Familie Mayfair gut zahlen würde, vor allem, wenn die Abgebildeten im Haus in der First Street gewohnt hatten.
Einer dieser Photographen, Nathan Brand, der ein modernes Studio in der St.
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