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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Klangwolke von draußen hereinschallen. Dankbar nahm sie ein Glas Champagner von ihm entgegen und trank es halb leer.
    ›Wir unterhalten uns gleich‹, sagte sie absichtlich liebenswürdig zu mir. ›In ein paar Minuten. Sie werden hier sein, ja? Oder, noch besser – warum schnappen Sie nicht ein bißchen frische Luft? Gehen Sie hinaus auf die Vorderveranda, seien Sie ein Schatz – ich bin gleich bei Ihnen.‹
    Pierce wußte, daß sie etwas im Schilde führte. Sein Blick ging zwischen mir und ihr hin und her, aber offensichtlich fühlte er sich hilflos. Sie nahm ihn beim Arm und ging mit ihm hinaus. Ich schaute auf den Teppich. Die Zwanzig-Dollar-Noten waren heruntergefallen und lagen verstreut auf dem Boden. Hastig raffte ich sie auf, stopfte sie in die Schublade zurück und ging hinaus in den Flur.
    Gegenüber der Bibliothekstür sah ich ein Porträt Julien Mayfairs, ein sehr gut ausgeführtes Ölgemälde in schweren, dunklen Rembrandt-Farben. Ich bedauerte, daß ich keine Zeit hatte, es zu betrachten. Eiligen Schrittes ging ich um die Treppe herum nach vorn und drängte und schob mich, so behutsam es ging, auf die Haustür zu.
    Drei Minuten mußten vergangen sein – ich war erst bis zum Geländerpfosten durchgedrungen -, als ich ihn wieder sah, oder ich glaubte ihn wenigstens einen schrecklichen Augenblick lang zu sehen, den braunhaarigen Mann, den ich im Spiegel entdeckt hatte. Diesmal starrte er über die Schulter von jemandem vorn in der Ecke des Hausflurs.
    Ich versuchte ihn wieder zu finden. Aber es ging nicht. Leute drängten sich gegen mich, als wollten sie mir absichtlich den Weg versperren, aber so war es natürlich nicht.
    Dann sah ich, daß jemand vor mir die Treppe hinauf deutete. Ich war inzwischen nur noch wenige Schritte von der Haustür entfernt. Ich drehte mich um und erblickte ein Kind auf der Treppe, ein sehr hübsches kleines blondes Mädchen. Zweifellos war es Antha, obwohl sie für eine Achtjährige recht klein aussah. Sie war barfuß und trug ein Flanellnachthemd, und sie weinte. Jetzt schaute sie über das Geländer hinweg durch die Tür des vorderen Salons.
    Ich drehte mich um und schaute ebenfalls durch die Tür. Im selben Augenblick schrie jemand laut auf; die Menge teilte sich, und die Leute wichen in sichtlichem Schrecken nach links und rechts zurück. Ein rothaariger Mann stand in der Tür, etwas links von mir, dem Salon zugewandt. Und vor Entsetzen krampfte sich mir der Magen zusammen, als ich sah, wie er mit der rechten Hand eine Pistole hob und schoß. Der ohrenbetäubende Knall ließ das Haus erbeben. Panik brach aus. Schreie gellten. In der Haustür war jemand gestolpert, und die Menge stürmte einfach über den armen Teufel hinweg. Auch nach hinten drängten sich die Leute auf ihrer Flucht durch den Flur.
    Stella lag auf dem Boden, mitten im vorderen Salon, auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht. Sie starrte in den Flur hinaus. Ich stürzte vorwärts, kam aber nicht rechtzeitig, um den rothaarigen Mann daran zu hindern, zu ihr zu treten und noch einmal zu schießen. Ihr Körper zuckte krampfhaft, und das Blut spritzte ihr seitlich aus dem Schädel.
    Ich packte den Kerl beim Arm, und er schoß noch einmal, als ich sein Handgelenk umklammerte. Aber die Kugel verfehlte sie diesmal und fuhr in den Fußboden. Es war, als verdopple sich das Geschrei. Glas klirrte. Die Fenster zerbarsten. Jemand versuchte den Mann von hinten zu packen, und mir gelang es, ihm die Pistole zu entwinden, aber dabei trat ich versehentlich auf Stella und stolperte über ihre Füße.
    Ich fiel mit der Pistole auf die Knie und stieß die Waffe mit Absicht von mir, so daß sie über den Boden davonrutschte. Der Mörder wehrte sich inzwischen vergebens gegen ein halbes Dutzend Männer. Glasscherben von den Fenstern wehten zu uns herein, und ich sah, wie sie auf Stella niederregneten. Blut rann ihr über den Hals und auch über den Mayfair-Smaragd, der schief auf ihrer Brust lag.
    Das nächste, woran ich mich erinnere, war ein ungeheurer Donnerschlag; er übertönte das ohrenbetäubende Kreischen und Schreien, das von überall her ertönte. Ich spürte den Regen, der böig hereinprasselte; dann hörte ich ihn auf den Veranden ringsum rauschen, und das Licht ging aus.
    Im Schein mehrerer Blitze sah ich, wie die Männer den Mörder aus dem Zimmer schleiften. Eine Frau kniete neben Stella nieder, hob ihr Handgelenk und stieß dann einen qualvollen Schrei aus.
    Das Kind war inzwischen herein gekommen;

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