Hexenstunde
Ledersofa saßen und jetzt hastig aufstanden und sich entfernten. Die Party mit ihrer unausgesetzten Heiterkeit schien an diesem Raum vorüberzugehen. Hier gab es nur Staub und Stille. Man roch schimmelndes Leder und Papier. Und es war eine ungeheure Erleichterung, allein zu sein.
Ich ließ mich in den Ohrensessel vor dem Kamin fallen, mit dem Rücken zu den Scharen, die im Flur draußen vorüber zogen; ich sah ihr Spiegelbild über dem Kamin und fühlte mich einstweilen sicher vor ihnen. Ich betete darum, daß nicht noch ein Liebespaar hier im Halbdunkel Zuflucht suchen möge.
Ich zog mein Taschentuch hervor und wischte mir übers Gesicht und bemühte mich, mir in allen Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen, was ich gesehen hatte.
Nun haben wir ja alle unsere Theorien zu Geistererscheinungen – warum sie sich in dieser oder in jener Gestalt zeigen und warum sie tun, was sie tun. Und meine Theorien unterscheiden sich höchstwahrscheinlich von denen der anderen. In einem aber war ich mir sicher, als ich nun hier saß. Stuart hatte sich aus einem sehr guten Grunde verwest und ramponiert gezeigt: Seine Überreste befanden sich hier im Hause! Dennoch beschwor er mich, zu gehen! Er wollte mich warnen.
Galt diese Warnung der ganzen Talamasca? Oder war sie nur an Arthur Langtry gerichtet? Darüber brütete ich nun, während mein Pulsschlag sich normalisierte und ich wie immer nach solchen Erlebnissen einen Adrenalinstoß verspürte, die glutvolle Gier, zu entdecken, was hinter dem matten Schimmer des Übernatürlichen lag, den ich soeben erblickt hatte.
Wie sollte ich nun vorgehen? Das war die entscheidende Frage. Natürlich sollte ich mit Stella reden. Aber wie weit konnte ich das Haus noch erforschen, ehe ich mich ihr vorstellte? Und was war mit Stuarts Warnung? Auf welche Art von Gefahr hatte ich gefaßt zu sein?
All dies überdachte ich, ohne mir einer merklichen Veränderung in dem Getöse draußen im Flur bewußt zu werden. Plötzlich aber merkte ich, daß sich etwas in meiner unmittelbaren Umgebung radikal und bedeutsam geändert hatte. Langsam blickte ich auf. Jemand war im Spiegel zu sehen – eine einzelne Gestalt, so schien es. Erschrocken drehte ich mich um. Aber da war niemand. Wieder schaute ich in das trübe, schattenhafte Glas.
Ein Mann starrte mir aus dem stofflosen Reich hinter dem Spiegel entgegen. Als ich ihn – von Adrenalin durchströmt und mit geschärften Sinnen – betrachtete, wurde sein Bild heller und klarer, bis es ein unbestreitbar lebendiger junger Mann mit heller Haut und dunkelbraunen Augen war, der eindeutig wütend und bösartig auf mich herabstarrte.
Noch nie in all meinen Jahren bei der Talamasca hatte ich eine so exquisit realisierte Erscheinung gesehen. Der Mann war vielleicht dreißig Jahre alt; seine Haut war offensichtlich makellos, aber sorgsam getönt, die Wangen leicht rosig überhaucht, eine matte Blässe unter den Augen. Er trug höchst altmodische Kleidung mit Stehkragen und schwerer Seidenkrawatte. Sein Haar war wellig und ganz leicht zerzaust, als sei er soeben mit den Fingern hindurchgefahren. Der Mund wirkte sanft, jugendlich und leicht gerötet. Ich konnte die feinen Falten in den Lippen erkennen, ja, sogar den schattigen Hauch des rasierten Bartwuchses am Kinn.
Aber der Effekt war grauenvoll, denn es war kein Mensch, kein Gemälde, kein Spiegelbild. Es war etwas unendlich viel Spektakuläreres – und in seiner Stille sehr lebendig.
Die braunen Augen waren voller Haß, und als ich die Kreatur anstarrte, zitterten die Lippen kaum merklich vor Zorn, ja, vor Wut.
Langsam und mit demonstrativer Gelassenheit hob ich mein Taschentuch an die Lippen. ›Hast du meinen Freund getötet, Geist?‹ flüsterte ich. Noch selten habe ich mich so belebt gefühlt, von so hitziger Kampfeslust erfüllt. ›Nun, Geist?‹ flüsterte ich weiter.
Ich sah, wie er schwächer wurde. Ich sah, wie er an Festigkeit verlor, ja, wie seine Lebendigkeit verging. Das Gesicht, so wunderbar modelliert, so voller negativer Empfindungen, wurde langsam ausdruckslos.
›Ich bin nicht so leicht abzufertigen, Geist‹, sagte ich leise. ›Jetzt haben wir zwei Rechnungen zu begleichen, nicht wahr? Petyr van Abel und Stuart Townsend. Sind wir uns darin einig?‹
Die Illusion war anscheinend unfähig, mir zu antworten. Und ganz plötzlich erzitterte der ganze Spiegel und war nichts als dunkles Glas, als die Tür zum Flur zugeschlagen wurde.
Schritte ertönten auf dem blanken Boden neben dem
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