Hexenstunde
flinken Fingern eine Seminararbeit über »Hexenverfolgung im Deutschland des 17. Jahrhunderts« auf der Schreibmaschine tippte.
Zwei Monate, nachdem er mit den Vorbereitungen zu seinem Geschichtsexamen begonnen hatte, paukte er neben seinem College-studium für die staatliche Prüfung als Bauunternehmer. Er arbeitete jetzt als Maler und erlernte außerdem das Verputzen und das Fliesenlegen – alles, was er im Bauhandwerk brauchen würde.
Sein Studium setzte er fort, weil eine tiefe Unsicherheit ihm nicht erlaubte, etwas anderes zu tun, aber inzwischen war ihm klar, daß kein noch so großes akademisches Vergnügen sein Bedürfnis befriedigen würde, mit den Händen zu arbeiten, Leitern zu erklimmen, einen Hammer zu schwingen und am Ende des Tages diese großartige, unvergleichliche körperliche Erschöpfung zu verspüren.
Er liebte es, die Ergebnisse seiner Arbeit zu sehen – ein repariertes Dach, eine restaurierte Treppe, einen ehemals hoffnungslos verdreckten Fußboden, der wieder in neuem Glanz erstrahlte. Er liebte es, die fein geschnitzten Treppenpfosten, Balustraden und Türrahmen abzubeizen und zu lackieren. Und nie hörte er auf zu lernen: Er studierte das Handwerk eines jeden seiner Arbeitgeber. Er fragte Architekten aus, wann immer er Gelegenheit hatte; er kopierte Pläne, um sie später zu studieren. Er brütete über Büchern, Zeitschriften und Katalogen, die sich mit Restauration und viktorianischen Bauten befaßten.
Manchmal hatte er das Gefühl, Häuser mehr zu lieben als menschliche Wesen; er liebte sie, wie ein Seemann Schiffe liebt, und nach der Arbeit ging er oft allein durch die Räume, denen er neues Leben gegeben hatte, und berührte liebevoll die Fenstersimse, die Messingknöpfe, den seidenglatten Putz. Er konnte hören, wie ein großes Haus mit ihm sprach.
Innerhalb von zwei Jahren wurde er Magister der Geschichte, gerade als überall in Amerika die Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg ihren Höhepunkt erreichten und die Einnahme psychedelischer Drogen unter den Jugendlichen, die nach Haight Ashbury in San Francisco strömten, zum letzten Schrei wurde. Schon lange vorher hatte er die Zulassungsprüfung für das Bauwesen abgelegt und eine eigene Firma eröffnet.
Die Welt der Blumenkinder, der politischen Revolution und der Persönlichkeitsveränderung durch Drogen war etwas, das er nie ganz verstand, und sie berührte ihn eigentlich auch nie. Der Historiker in ihm ließ sich von der seichten, oft albernen Revolutionsrhetorik, die er ringsum hörte, nicht aus der Fassung bringen; nur ein stilles Lachen hatte er für den Biertisch-Marxismus seiner Freunde übrig, die von den Arbeitern persönlich offenbar nicht das geringste wußten. Und er sah mit Entsetzen, wenn Leute, die er liebte, ihren Seelenfrieden, wenn nicht gar ihren Verstand mit starken Halluzinogenen restlos zerstörten.
Aber er lernte aus all dem; er lernte, weil er zu verstehen suchte. Und die große psychedelische Liebe zu Farben und Mustern, zu orientalischer Musik und plakativem Design hatte unvermeidlichen Einfluß auf seine Ästhetik. Jahre später sollte er behaupten, daß jeder Mensch im ganzen Land von der großen Bewußtseinsrevolution der sechziger Jahre profitiert habe: Die Renovierung der alten Häuser, die Schaffung prachtvoller öffentlicher Bauten mit blumengefüllten Plazas und Parks, ja, sogar die Errichtung der modernen Einkaufspassagen mit ihren Marmorböden, Springbrunnen und Blumenkübeln – all dies habe seine Wurzeln unmittelbar in jenen entscheidenden Jahren, als die Hippies vom Haight Ashbury ihr Cannabis auf die Fensterbank stellten und ihre Sperrmüllmöbel mit leuchtend bunten indianischen Decken drapierten, als die Mädchen sich die bald sprichwörtlichen Blumen an die fließenden Kleider hefteten und die Männer ihre triste Garderobe gegen bunte Hemden austauschten und sich das Haar einfach wachsen ließen.
Michael hatte ständig eine Warteliste mit interessierten Kunden, und bald waren seine Projekte über die ganze Stadt verteilt. Es war seine größte Freude, wenn er in ein baufälliges, muffiges viktorianisches Haus in der Divisadero Street gehen und sagen konnte: »Yeah, in sechs Monaten kann ich Ihnen daraus einen Palazzo machen.« Seine Arbeit wurde mit Preisen ausgezeichnet. Er wurde berühmt für die wunderschönen Detailzeichnungen, die er machen konnte. Etliche Projekte nahm er ganz ohne die Anleitung eines Architekten in Angriff. Alle seine Träume wurden wahr.
Mit
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