Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
nicht gern hingefahren«, erzählte mir der Polizist. »Wissen Sie, diese Familien im Garden District zu behelligen, das ist einfach nicht nach meinem Geschmack. Und diese Lady hat uns wirklich in die Mangel genommen. Sie hat uns vor der Haustür abgefangen . Es war Carlotta Mayfair – die, die sie Miss Carl nennen; sie arbeitet bei dem Richter.
    ›Wer hat Sie gerufen? Was wollen Sie? Wer sind Sie? Zeigen Sie mir Ihren Ausweis! Ich werde mit Richter Byrnes reden müssen, wenn Sie noch einmal hier aufkreuzen.‹
    Schließlich sagte mein Partner, die Leute hätten die junge Lady im Haus schreien hören, und wir würden sie gern mal sprechen und uns davon überzeugen, daß ihr nichts fehlte. Da dachte ich, Miss Carl bringt ihn auf der Stelle um. Aber dann holte sie das Mädchen, Deirdre Mayfair, über die dauernd geredet wird. Sie weinte und zitterte am ganzen Leibe, und sie sagte zu meinem Partner: ›Sagen Sie ihr, sie soll mir die Sachen meiner Mutter geben. Sie hat die Sachen meiner Mutter weggenommen.‹
    Miss Carl sagte, sie hätte jetzt genug von dieser ›Störung‹; es handele sich um eine familiäre Auseinandersetzung, und die Polizei würde dabei nicht gebraucht. Wenn wir nicht verschwänden, würde sie Richter Byrnes anrufen. Da rannte dieses Mädchen aus dem Haus und zum Streifenwagen, und sie kreischte: ›Nehmen Sie mich mit!‹
    Und dann passierte was mit Miss Carl. Sie schaute das Mädchen an, das da am Randstein bei unserem Streifenwagen stand, und fing an zu weinen. Sie versuchte es zu verbergen; sie zog ein Taschentuch heraus und versteckte ihr Gesicht. Aber wir konnten trotzdem sehen, daß die Lady weinte. Sie wußte wirklich nicht mehr weiter mit dem Mädchen.
    Mein Partner fragte: ›Miss Carl, was sollen wir denn tun?‹ Sie ging an ihm vorbei zum Gehweg, legte eine Hand auf das Mädchen und sagte: ›Deirdre, willst du wieder in die Anstalt? Bitte, Deirdre. Bitte.‹ Und dann versagte ihr die Stimme. Das Mädchen starrte sie an, mit einem wilden, fast irrsinnigen Blick, und dann fing es an zu schluchzen. Miss Carl legte ihr den Arm um die Schulter und führte sie die Treppe hinauf und ins Haus.«
    »Sind Sie sicher, daß es Carl war?« fragte ich den Polizisten.
    »O ja. Jeder kennt sie ja. Mann, ich werde die Geschichte nie vergessen. Am nächsten Tag rief sie den Captain an und wollte, daß wir beide gefeuert würden.«
    Ein anderer Streifenwagen erschien eine Woche später auf einen zweiten Anruf der Nachbarn hin. Über diesen Fall wissen wir aber nur, daß Deirdre versuchte, das Haus zu verlassen, als die Polizei eintraf; man konnte sie jedoch überreden, sich auf die Verandatreppe zu setzen und zu warten, bis ihr Onkel Cortland kam.
    Am darauffolgenden Tag lief Deirdre weg. Man erzählt von unzähligen Telefonaten; Cortland sei zur First Street hinaufgejagt, und Mayfair und Mayfair habe die Verwandten in New York angerufen und Deirdre dort gesucht – wie im Falle Anthas Jahre zuvor.
    Amanda Grady Mayfair war inzwischen tot. Rosalind Mayfair, Dr. Cornell Mayfairs Mutter, wollte mit der »Bande aus der First Street«, wie sie es nannte, nichts mehr zu tun haben. Trotzdem rief sie andere New Yorker Verwandte an. Dann meldete sich die Polizei bei Cortland in New Orleans. Deirdre war in Greenwich Village aufgegriffen worden, wo sie barfuß und hilflos umhergeirrt war. Es gab Hinweise auf eine Vergewaltigung. Cortland flog noch am selben Abend nach New York. Am nächsten Morgen kam er mit Deirdre zurück.
    Die Wiederholung der Geschichte vollendete sich mit Deirdres zweiter Einweisung in die psychiatrische Anstalt von St. Ann’s. Eine Woche später wurde sie entlassen und zog zu Cortland in sein altes Haus in Metairie.
    In der Familie erzählte man sich, Carlotta sei niedergeschlagen und entmutigt. Sie erzählte Richter Byrnes und seiner Frau, sie habe bei ihrer Nichte versagt, und sie fürchte, das Mädchen werde »nie normal« werden.
    Als Beatrice Mayfair Carlotta eines Samstags besuchte, traf sie sie allein im Salon in der First Street an. Sie saß bei geschlossenen Vorhängen und wollte kein Wort sagen.
    »Später wurde mir klar, daß sie immer nur auf die Stelle starrte, wo früher der Sarg gestanden hatte, als die Totenfeiern noch zu Hause stattgefunden hatten. Sie sagte immer nur ja oder nein oder hmmm, wenn ich sie etwas fragte. Schließlich kam diese gräßliche Nancy herein und bot mir Eistee an. Sie wirkte genervt, als ich annahm. Ich sagte, ich hole mir selbst welchen, und sie

Weitere Kostenlose Bücher