Hexenstunde
Schwestern, sie sei »verflucht« und »von einem Teufel besessen«. Sie mußten ihr einen Priester rufen. Cortland kam gemeinsam mit Carlotta, und sie brachten sie nach Hause.
»Sie hat zuviel Phantasie«, erklärte Carlotta. Es sollte die Standardausrede werden.
Ein Jahr später griff die Polizei das Mädchen auf, als es in Sturm und Regen, frierend und weinend, am Bayou St. John entlangirrte. Sie habe Angst, nach Hause zu gehen, gab sie an, und zwei Stunden lang erzählte sie der Polizei Lügenmärchen über ihren Namen und ihre Herkunft. Sie sei eine Zigeunerin und mit dem Zirkus in der Stadt. Der Dompteur habe ihre Mutter ermordet. Sie habe versucht, »mit einem seltenen Gift Selbstmord zu begehen«, aber man habe sie in ein Krankenhaus in Europa geschafft, wo man ihr das ganze Blut aus den Adern gesogen habe.
»Da war etwas so Trauriges an diesem Kind, und etwas so Verrücktes«, erzählte ein Polizist später einem unserer Detektive. »Es war ihr alles absolut ernst, und ihre blauen Augen kriegten beim Erzählen immer einen ganz wilden Ausdruck. Als ihr Onkel und ihre Tante kamen, um sie zu holen, blickte sie nicht mal auf. Erst tat sie, als ob sie Fremde wären. Dann behauptete sie, daß sie sie zu Hause auf dem Dachboden anketteten.«
Mit zehn Jahren wurde Deirdre nach Irland verfrachtet, in ein Internat, das ein aus Irland stammender Priester an der St. Patricks-Kathedrale empfohlen hatte. In der Familie hieß es, die Idee stamme von Cortland.
Aber die Schwestern in County Cork schickten Deirdre schon nach einem Monat wieder nach Hause.
Zwei Jahre lernte sie bei einer Hauslehrerin namens Miss Lampton, einer alten Freundin von Carlotta, die diese noch aus dem Heiligen Herzen kannte. Miss Lampton erzählte Beatrice Mayfair, Deirdre sei ein bezauberndes Mädchen und sehr aufgeweckt. »Sie hat zuviel Phantasie; sonst fehlt ihr nichts, und sie verbringt zuviel Zeit allein.« Als Miss Lampton in den Norden zog, um einen Witwer zu heiraten, den sie im Urlaub kennengelernt hatte, weinte Deirdre tagelang.
Aber auch in diesen Jahren gab es Streit in der First Street. Deirdre rannte öfters weinend aus dem Haus. Sie kletterte auf die Eiche, bis sie für Irene oder Miss Lampton nicht mehr zu erreichen war. Dort blieb sie dann nicht selten, bis es dunkel war.
Aber als Deirdre heranwuchs, ging eine Veränderung mit ihr vor. Sie zeigte sich zurück gezogen, verschlossen, nicht mehr so jungenhaft wild wie früher. Mit dreizehn war sie üppiger von Gestalt, als Antha es je gewesen war. Sie trug das schwarze Haar lang und in der Mitte gescheitelt und band es mit einem lavendelfarbenen Band zurück. Ihre großen blauen Augen blickten stets mißtrauisch und leicht verbittert. Ja, das Kind sah im Innersten verwundet aus, behaupteten die, die sie in der Sonntagsmesse zu sehen bekamen.
»Sie war bereits eine schöne Frau«, sagte eine der Matronen, die regelmäßig in der Kapelle waren. »Und die alten Damen wußten es nicht. Sie zogen sie immer noch an wie ein Kind.«
Im Sommer vor ihrem vierzehnten Geburtstag lieferte man sie ins neue Mercy Hospital ein. Sie hatte versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Beatrice besuchte sie.
»Das Mädchen hat einen Schwung, den Antha einfach nicht hatte«, berichtete sie später Juliette Milton. »Aber sie braucht weiblichen Rat in manchen Dingen. Sie wollte, daß ich ihr Kosmetika kaufe. Sie sagt, sie war in ihrem ganzen Leben erst ein einziges Mal in einem Drugstore.«
Als Beatrice mit den Kosmetiksachen ins Krankenhaus kam, erfuhr sie, daß Carlotta alle weiteren Besuche verboten hatte. Als sie daraufhin bei Cortland anrief, bekannte er, daß er nicht wisse, weshalb Deirdre sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. »Vielleicht wollte sie nur raus aus diesem Haus.«
Noch in derselben Woche sorgte Cortland dafür, daß Deirdre nach Kalifornien reisen konnte. Sie flog nach Los Angeles und wohnte bei Garlands Tochter, Andrea Mayfair, die mit einem Arzt des Cedars of Lebanon Hospital verheiratet war. Aber nach zwei Wochen war Deirdre wieder zu Hause.
Die Mayfairs aus Los Angeles sprachen mit niemandem über das, was geschehen war, aber ihr einziger Sohn, Elton, erzählte unseren Ermittlern Jahre später, seine arme Cousine aus New Orleans sei verrückt. Sie habe geglaubt, sie sei durch irgendein Vermächtnis verflucht, und sie habe mit ihm über Selbstmord geredet und seine Eltern in Angst und Schrecken versetzt. Sie seien daraufhin mit ihr zu verschiedenen Ärzten gegangen,
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