Hexenstunde
und die hätten gesagt, das Mädchen werde niemals normal sein.
»Meine Eltern wollten ihr helfen; vor allem meine Mutter. Aber sie brachte die ganze Familie durcheinander. Ich glaube, das Faß lief über, als sie sie eines Nachts mit einem Mann im Garten sahen und Deirdre es nachher nicht zugeben wollte. Sie stritt es hartnäckig ab. Und da bekamen sie Angst, daß etwas passieren könnte. Deirdre war dreizehn, glaube ich, und sehr hübsch. Da haben sie sie nach Hause geschickt.«
Derselbe mysteriöse männliche Besucher war verantwortlich für den traumatischsten Verweis von Deirdre: für den Verweis vom Internat St. Rose de Lima, als sie sechzehn Jahre alt war. Sie hatte diese Schule ein ganzes Semester lang besucht, ohne daß es zu einem Mißgeschick gekommen wäre. Der Zwischenfall ereignete sich mitten im Frühling. Den Familiengeschichten zufolge war Deirdre in St. Ro’s selig gewesen, und sie hatte Cortland zu verstehen gegeben, sie wolle nie mehr nach Hause. Sogar über Weihnachten war sie im Internat geblieben; nur am Weihnachtsabend war sie mit Cortland essen gegangen.
Sie liebte die Schaukel auf dem Spielplatz, die auch für die älteren Kinder groß genug war, und in der Abenddämmerung sang sie dort Lieder mit einem anderen Mädchen, Rita Mae Dwyer (später Lonigan), die Deirdre als eine einzigartige Persönlichkeit in Erinnerung hat, elegant und unschuldig, romantisch und liebenswert.
Noch 1988 hat der Verfasser in einem Gespräch mit Rita Mae Dwyer Lonigan weitere Einzelheiten über diesen Schulverweis erfahren können.
Deirdres »mysteriöser Freund« traf sich mit ihr im Mondschein im Garten der Nonnen und sprach leise, aber doch so laut, daß Rita Mae ihn verstehen konnte. »Er nannte sie ›meine Geliebte‹«, berichtete Rita Mae mir. So romantische Reden hatte sie bis dahin nur im Kino gehört.
Wehrlos und bitterlich schluchzend, verteidigte Deirdre sich mit keinem Wort, als die Nonnen sie bezichtigten, sie habe »einen Mann aufs Schulgelände gebracht«. Sie hatten Deirdre und ihren männlichen Besucher bespitzelt und durch die Blendläden der Konventküche in den Garten hinausgespäht, wo die beiden sich im Dunkeln getroffen hatten. »Das war kein Junge!« sagte eine der Nonnen hernach wütend vor den versammelten Schülerinnen. »Das war ein Mann! Ein erwachsener Mann!«
Die Akte aus jener Zeit ist beinahe bösartig in ihren Verdammungen. »Das Mädchen ist verlogen. Sie hat dem Mann erlaubt, sie unschicklich zu berühren. Ihre ganze Unschuld ist reine Fassade.«
Es kann keinen Zweifel daran geben, daß dieser mysteriöse Besucher Lasher war. Die Nonnen – und später Mrs. Lonigan – beschreiben ihn: Er habe braunes Haar und braune Augen und wunderschöne, altmodische Kleider.
Aber der bemerkenswerteste Punkt ist, daß Rita Mae Lonigan – sofern sie nicht übertreibt – Lasher hat sprechen hören.
Eine weitere erstaunliche Information, die wir von Mrs. Lonigan erhalten haben ist die, daß Deirdre den Mayfair-Smaragd im Internat bei sich hatte, daß sie ihn Rita Mae zeigte und daß auf der Rückseite ein Wort eingraviert war: »Lasher«. Wenn Rita Maes Erzählung stimmt, dann wußte Deirdre nur wenig über ihre Mutter oder ihre Großmutter. Ihr war wohl bekannt, daß ihr dieser Smaragd von diesen Frauen vererbt worden war, aber sie wußte nicht einmal, auf welche Weise Stella oder Antha gestorben war.
In der Familie war es 1956 allgemein bekannt, daß der Schulverweis von St. Rose de Lima’s eine vernichtende Wirkung auf Deirdre ausübte. Sie wurde für sechs Wochen in die Anstalt von St. Ann’s eingewiesen. Die Akten sind unzugänglich, aber die Schwestern berichteten, Deirdre habe um eine Elektroschockbehandlung gebettelt und sie zweimal auch erhalten. Zu dieser Zeit war sie knapp siebzehn.
Nach allem, was wir über die medizinische Praxis in dieser Zeit wissen, können wir als sicher annehmen, daß diese Behandlungen mit einer sehr viel höheren Stromspannung als heute durchgeführt wurden; sie waren wahrscheinlich sehr gefährlich und hatten stundenlangen, wenn nicht tagelangen Gedächtnisverlust zur Folge.
Carlotta holte Deirdre aus der Anstalt nach Hause, und dort siechte sie noch einen Monat dahin.
Im Herbst gab es wieder mehr Berichte über Streitereien und Geschrei. Bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gingen Nachbarn so weit, die Polizei zu rufen. Zwei Jahre später gelang es mir persönlich, einen umfassenden Bericht über das erste Mal zu erhalten.
»Ich bin da
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