Hexenstunde
kletterte.
Richtiges Personal gab es im Haus in der First Street nicht mehr. Tante Easters Tochter Irene kochte und putzte gründlich und gleichmütig. Jeden Morgen fegte sie den Gehsteig oder die »Bankette«, wie man sie nannte. Um drei Uhr sah man sie, wie sie am Wasserhahn neben dem hinteren Gartentor ihren Mop auswrang.
Nancy Mayfair war die eigentliche Haushälterin; sie führte das Regiment auf eine barsche Art – zumindest nach Angaben von Lieferanten und Priestern, die hin und wieder zu Besuch kamen.
Millie Dear und Belle, zwei pittoreske, wenn nicht sogar hübsche alte Damen, pflegten die paar Rosen an der Seitenveranda, die vor der Wildnis, die inzwischen das ganze Anwesen vom Vorderzaun bis zur hinteren Mauer überwucherte, gerettet worden waren.
Die ganze Familie erschien sonntags um neun Uhr zur Messe in der Kapelle – die kleine Deirdre, ein bildhübsches Kind in ihrem marineblauen Matrosenkleidchen und dem Strohhut mit den Bändern, Carlotta in einem dunklen Straßenkostüm mit hochgeschlossener Bluse, die beiden alten Damen Millie Dear und Belle auf das exquisiteste gewandet in ihren hohen schwarzen Schnürstiefeletten, den spitzenbesetzten Gabardinekleidern und den schwarzen Handschuhen.
Miss Millie und Miss Belle gingen montags oft zusammen einkaufen; sie fuhren dann mit dem Taxi von der First Street zu gus Mayer oder zu Godchaux’s, den feinsten Geschäften von New Orleans; dort kauften sie perlgraue Kleider und blumengeschmückte Hüte mit Schleiern sowie andere vornehme Accessoires. Sie, und nur sie allein, vertraten die Familie aus der First Street bei Beerdigungen, hin und wieder auch bei Taufen und manchmal sogar auf einer Hochzeit, obgleich sie nur selten nach der Kirche auch noch am Empfang teilnahmen.
Millie und Belle besuchten auch die Beerdigungen anderer Gemeindemitglieder und gingen auch zur Totenwache, wenn sie bei Lonigan und Söhne in der Nachbarschaft stattfand. Dienstags abends kamen sie zur Novene in die Kapelle, und manchmal, an Sommerabenden, brachten sie die kleine Deirdre mit; dann umgluckten sie sie stolz und fütterten sie während der Andacht mit Schokolade, damit sie ruhig blieb.
Niemand konnte sich erinnern, daß mit der reizenden Miss Belle je etwas »nicht gestimmt« haben sollte.
Im Gegenteil, die beiden alten Damen errangen mühelos Zuneigung und Respekt im gesamten Garden District, vor allem bei den Familien, die nichts von den Mayfairschen Tragödien und Geheimnissen wußten. Das Haus in der First Street war nicht das einzige verlotterte Anwesen hinter einem rostigen Eisenzaun.
Nancy Mayfair hingegen wirkte, als sei sie als Angehörige einer ganz anderen Klasse geboren und aufgewachsen. Ihre Kleidung war stets trist, ihr braunes Haar ungewaschen und nur flüchtig gekämmt. Leicht hätte sie man mit einer Hausangestellten verwechseln können. Aber niemand zweifelte daran, daß sie Stellas Schwester war – was freilich nicht stimmte. Schon mit dreißig Jahren begann sie schwarze Schnürschuhe zu tragen. Botenjungen bezahlte sie mürrisch aus einer verschlissenen Geldbörse, und Hausierern am Tor rief sie von der oberen Galerie aus zu, sie sollten verschwinden.
Bei diesen Frauen verbrachte die kleine Deirdre ihre Zeit, wenn sie sich nicht in einem überfüllten Klassenzimmer bemühte, aufmerksam dem Unterricht zu folgen, was aber immer kläglich scheiterte.
Immer wieder verglichen die Tratschweiber der Pfarrgemeinde sie mit ihrer Mutter. Die Verwandtschaft meinte, vielleicht handele es sich tatsächlich um eine »angeborene Geisteskrankheit«, aber eigentlich wußte es niemand. Für diejenigen indessen, die die Familie – selbst über viele Meilen hinweg – aufmerksam beobachteten, waren bestimmte Unterschiede zwischen Mutter und Tochter schon frühzeitig erkennbar.
Während Antha von Natur aus immer schmächtig und zurück haltend gewesen war, hatte Deirdre von Anfang an etwas Rebellisches und unverkennbar Sinnliches an sich. Nachbarn sahen oft, daß sie »wie ein wilder Junge« durch den Garten rannte. Mit fünf Jahren konnte sie die große Eiche bis in den Wipfel hinaufklettern. Manchmal versteckte sie sich im Gebüsch am Zaun und erschreckte dann absichtlich die Vorübergehenden.
Mit neun Jahren lief sie zum erstenmal weg. Carlotta rief in panischem Schrecken Cortland an, dann wurde die Polizei alarmiert. Schließlich tauchte Deirdre durchfroren und zitternd vor dem Waisenhaus St. Elizabeth in der Napoleon Avenue auf und erzählte den
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